Im Gespräch mit Bärbel Dieckmann über Fluchtursachen, Lieferketten und Cradle to Cradle.
Ende Mai 2021 wurde der Bericht der Fachkommission Fluchtursachen der Bundesregierung vorgestellt, in der Du Co-Vorsitzende warst. Anderthalb Jahre lang hat die Kommission die Ursachen von Flucht erarbeitet und dann Empfehlungen ausgesprochen, wie diese wirksam bekämpft werden können. Was haben Klima, Umweltzerstörung und unsere heutige Wirtschaftsweise mit Fluchtursachen zu tun?
Der Hauptgrund für Flucht und illegale Migration sind Krieg, Verfolgung, Not und Perspektivlosigkeit. Doch Menschen verlassen ihre Heimat in der Regel nicht nur aus einem Grund. Zu den indirekten und inzwischen oft auch direkten Ursachen gehört die Klima- und Ressourcenkrise. Sie verschärft Wetterextreme, Wassermangel und gefährdet die landwirtschaftliche Erzeugung – und damit die Lebensgrundlage von uns Menschen. Wir haben uns in der Kommission intensiv mit diesen Interdependenzen beschäftigt. Zu den 15 Handlungsempfehlungen für die nächste Bundesregierung gehört die Forderung „die Länder des Globalen Südens massiv beim klimafreundlichen Umbau ihrer Wirtschaft unterstützen“. (Anm. d. Red.: Das Gespräch wurde im Juni 2021, drei Monate vor der Bundestagswahl geführt.)
Bei den Stichworten Klima und Ressourcen sind wir schon direkt bei Cradle to Cradle und der Frage: Wie kann Cradle to Cradle dazu beitragen, die Ursachen für Flucht zu beheben?
Den Klimawandel aufzuhalten und seine Auswirkungen sozial abzusichern, das muss ein prioritäres Ziel sein. Neben dem beschleunigten Ausbau der regenerativen Energien gehört der Schutz von Ressourcen dabei zu den wichtigen Aufgaben. Der Energieverbrauch beispielsweise des Produktionsprozesses muss erfasst werden mit dem Ziel der 100-prozentigen Nutzung von Erneuerbaren Energien. Und Ressourcen dürfen nicht mehr zu Lasten künftiger Generationen verschwendet werden.
C2C beinhaltet auch soziale Komponenten, wie beispielsweise faire Arbeitsbedingungen entlang globaler Wertschöpfungsketten. Wie relevant ist das für die Bekämpfung von Fluchtursachen?
Viele der Produkte und Rohstoffe, die wir täglich brauchen und verbrauchen, durchlaufen eine globale Lieferkette. Deshalb müssen Unternehmen unterstützt werden diese Kette im Sinne von C2C und der Kreislauffähigkeit zu optimieren. Dazu gehört auch die soziale Komponente. Das gerade verabschiedete Lieferkettengesetz kann dabei eine wichtige Rolle spielen.
Wie kann nun sichergestellt werden, dass die Empfehlungen der Kommission von der Bundesregierung auch umgesetzt werden?
Die nächste Bundesregierung, deren Zusammensetzung noch nicht entschieden ist, wird ein Regierungsprogramm beschließen, in dem die Frage von weltweiter Gerechtigkeit eine wichtige Rolle spielen wird. Die Situation hat sich ja für die Menschen in den Ländern des globalen Südens durch die Corona-Pandemie eher verschärft. Die Empfehlungen der Kommission werden eine der Grundlagen für diese Verhandlungen sein.
Migration und Flucht, aber auch Ressourcen- und Klimaschutz sind Themen, die keine nationalen Grenzen kennen. Welche internationalen Mechanismen brauchen wir, um Cradle to Cradle in der Breite als Ansatz für einen positiven Impact für Menschen und die Umwelt zu etablieren?
Die Ziele von C2C und der Kreislaufwirtschaft sind klar formuliert. Wir brauchen Transparenz entlang der Wertschöpfungskette mit klaren Qualitätskriterien. Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, die Anreize für Unternehmen schaffen, C2C in ihren Produkten umzusetzen. Aber auch internationale Abkommen und Regeln sind nötig.
Du warst viele Jahre lang Präsidentin der Welthungerhilfe. Was motiviert Dich, Dich für Menschenrechte einzusetzen?
In den 10 Jahren als Präsidentin der Welthungerhilfe habe ich viele Länder besucht und unvorstellbare Not gesehen. Aber ich habe auch viele Frauen und Männer kennengelernt, die für sich und ihre Familien eine bessere Zukunft wollen und all ihre Kraft und Energie dafür einsetzen. Ein Leben ohne Hunger ist ein Menschenrecht, dessen Erfüllung unser Ziel sein muss. Das war auch der Grundsatz der Regierungskommission Fluchtursachen. Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Bärbel Dieckmann war von 1994 bis 2009 Oberbürgermeisterin von Bonn und von 2001 bis 2009 Mitglied des Bundesvorstandes sowie des Parteipräsidiums der SPD. Im November 2008 wurde die gebürtige Leverkusenerin zur Präsidentin der Welthungerhilfe gewählt und hatte das Amt zehn Jahre lang inne. Sie hat Philosophie, Geschichte und Sozialwissenschaften in Bonn studiert, ist Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen und im Kuratorium der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis. Seit Ende 2019 ist sie Mitglied im ehrenamtlichen Vorstand von C2C NGO.
Dieser Artikel erschien erstmals im Printmagazin NÄHRSTOFF #5