Wie können Städte klimafreundlich, ressourcenschonend und sozial gestaltet werden? Dieser Frage widmete sich unsere Exkursion nach Wuppertal ins Living Lab NRW – gemeinsam mit Vertreter*innen aus unserem Netzwerk Cradle to Cradle (C2C) Regionen haben wir uns angeschaut, wie Bauen mit zirkulären, gesunden Materialien und solarer Energie aussehen kann. Im Anschluss haben wir ein paar C2C-Highlights festgehalten.
Das Living Lab NRW: Reallabor für kreislauffähiges Bauen
An einem sonnigen Tag Anfang Mai trafen wir Manuela Immecke vom Team des Living Lab NRW. Entlang der Wuppertaler Nordbahntrasse entstanden im Rahmen des internationalen Wettbewerbs Solar Decathlon 2021/22 mehrere Tiny Häuser – Demonstratoren für zukunftsfähiges, kreislauffähiges Bauen in Städten: mit erneuerbaren Energien, flexibler Raumnutzung und innovativen Materialien.
Der Wettbewerb beschäftigte sich mit den Herausforderungen des Klimawandels in Bezug auf Architektur und Bau. Das Living Lab NRW folgt als Anschlussprojekt auf den Wettbewerb – hierfür wurden acht der Häuser ausgewählt. So konnten wir die Häuser nach dem Wettbewerb besichtigen. Die Demonstratoren wurden von Student*innen verschiedener Disziplinen der Universitäten Valencia, Taipeh, Delft, Prag, Pécs und Biberach sowie Aachen und Düsseldorf entworfen. Die Häuser sind nach den jeweiligen Universitäten benannt.
Im Rahmen des Wettbewerbs richtet die Bergische Universität Wuppertal im Jahr 2021/22 einen besonderen Fokus auf die Herausforderungen und Entwicklung des urbanen Raums. Die Fragen: „Wie kann Wohnraum in Städten effizient genutzt werden? Wie entstehen soziale Orte, die Bedürfnisse von Bewohner*innen von Anfang an in die Planung miteinbeziehen?“ stehen neben dem Fokus auf zirkuläres Bauen im Vordergrund. Die Herausforderungen des Klimawandels und der mangelnde Platz in Städten erfordern neue Lösungsmöglichkeiten. Bei der Planung der Häuser konnten sich die Student*innen daher jeweils für eine der folgenden Optionen entscheiden: „Sanierung und Erweiterung“, „Baulückenschließung“ oder „Sanierung und Aufstockung“. Die Projekte wurden als Lösungen für jeweils eine real-existierende Herausforderung im urbanen Raum entwickelt. Ein wichtiger Schritt in Richtung kreislauffähiges Bauen besteht darin, klimafreundliche Aspekte bereits bei der Gebäudeplanung aktiv zu berücksichtigen – das erhöht die Akzeptanz, wie uns später unsere Exkursionsleiterin Manuela Immecke berichtete.
Biberach: PV-Röhren als Terrassendach
Wir starteten im Haus Biberach. Hier, wie auch bei allen Demonstratoren, fällt das modulare Konzept der Häuser auf. Das Ziel, Innenräume flexibel zu halten, Wände oder sogar Räume zu verschieben, neu zu interpretieren und Flächen effizient zu nutzen, findet sich überall. Die Häuser verfolgen verschiedene Vorstellungen des Zusammenlebens. In Biberach soll vor allem die Dachterrasse Platz dafür bieten, einen sozialen Ort zu schaffen. Ein Highlight: auf dem Dach befinden sich PV-Röhren, diese sind licht-, schnee- und wasserdurchlässig, kombinieren so Solarenergie und Dachbegrünung und bieten im Sommer gleichzeitig Schatten.
Pécs: Wände aus Flaschen und ein Teich zur Temperaturregulierung
Weiter ging es im Haus Pécs. Außen befindet sich ein Teich, der Regenwasser speichert und für adiabate Kühlungen sorgt. Das dort gesammelte Regenwasser reguliert im Sommer so die Kühlanlagen und dadurch die Temperatur in Innenräumen. Im Erdgeschoss befindet sich eine sogenannte Trombewand zur Speicherung der solaren Wärme aus Glasflaschen. Das Prinzip: Materialien, die erwärmt werden, können Wärme kreislauffähig zurückgeben. Dazu müssen die Flaschen mit Wasser befüllt werden und können Wärme anschließend speichern und in den Raum abgeben.
Düsseldorf: Solare Schachbrettfassade und Wände aus Backkork
Als Nächstes besichtigen wir das Haus Düsseldorf. Die Fenster des Demonstrators sind mit kleinen, quadratischen PV-Modulen ausgestattet, die auf den ersten Blick wie ein Schachbrettmuster aussehen. Im Sommer dienen sie der Verschattung. Zusätzlich sorgen sie durch Automation gesteuerte Lamellen der natürlichen Luftzirkulation im Haus. Sofort fällt der helle, große Gemeinschaftsraum auf. Im Inneren wurde mit natürlichen Rohstoffen wie Lehm und Backkork gearbeitet – den natürlichen, angenehmen Geruch bemerkt man sofort, wenn man den Raum betritt. Beim Bau des Gebäudes wurde auf Leim verzichtet. Das sorgt dafür, dass das ganze Gebäude sowie die Innenmöbel einfach wieder rückgebaut und die Materialien in den Kreislauf geführt werden können.
Aachen: Eine Wand aus Blumen mit verschiebbaren Wohnungen
Als Nächstes besichtigen wir das Haus Aachen. Hier fällt sofort die eindrucksvolle, üppig begrünte Fassade auf. Die Grünfassade dient der Klimaanpassung und die enthaltenen Moose filtern den Feinstaub aus der Luft. An den seitlichen Fassaden wurde eine hydroaktive Fassade kombiniert mit einer Stickstoffmatte installiert. In den Zwischenräumen der textilen Fassade kann Wasser zur Kühlung des Gebäudes gespeichert werden; gleichzeitig wird das Wasser mit Stickstoff angereichert. So kann die Gebäudefassade bewässert und gedüngt werden. Konzipiert ist das Haus als Ort für (temporär) alleinstehende Menschen, die trotzdem Teil einer Gemeinschaft sein möchten. Unten befindet sich ein großer Gemeinschaftsbereich und oben ein großer Raum mit mehreren kleinen Modulen, CUBES, die aus einem Bett bestehen und im Raum verschiebbar sind.
Delft: Folklore-Solaranlagen und modulare Wände
Zuletzt besuchten wir Delft. Auch hier fallen die Solaranlagen an den Außenwänden auf, die mit für die Region typischen Motiven bedruckt sind und somit zeigen, wie die durchdachte Integration von PV-Anlagen deren Akzeptanz steigern kann. Unten befindet sich ein Gemeinschaftsraum, der als Werkraum dient, oben eine Wohnung für eine Person. Wie auch in den anderen Häusern ermöglicht das modulare Design in Delft ein zweites Zimmer mit verschiebbarer Wand und somit anpassbarer Raumgröße, das durch ausklappbare Module wie Schreibtisch oder Bett gleichzeitig in ein Gäste- oder Arbeitszimmer verwandelt werden kann.
Ausblick
Die Exkursionsteilnehmer*innen waren sich einig: Das Living Lab NRW bietet zahlreiche Denkanstöße, die sie mit in die Kommunen und ihre Projekte nehmen können. Neben den innovativen Ideen waren alle vom Design der Häuser beeindruckt. Fast in jedem Haus fiel der Satz: „Hier würde ich sofort einziehen“. Damit zeigen die Ideen, dass kreislauffähiges und solares Bauen nicht nur materialgesunde und zirkuläre Möglichkeiten bietet, sondern gleichzeitig auch echte Lebensqualität.
Im Verlauf der Exkursion blieben jedoch Fragen offen. Kann zum Beispiel die hydroaktive Fassade von Haus Aachen wieder in den Kreislauf gebracht werden? Hat das herstellende Unternehmen ein Rücknahmesystem etabliert und lassen sich die Materialien sortenrein trennen? Passen die Grundrisse der Gebäudedemonstratoren wirklich zu den Bedürfnissen der potenziellen Bewohner*innen und wurde der Raum konsequent gut genutzt? Sind alle eingesetzten Baustoffe materialgesund? Auch wenn die PV-Module durch ihren hohen Designanspruch deutlich an Akzeptanz gewinnen, muss zukünftig auch auf die Kreislauffähigkeit eben dieser Anlagen und aller weiteren Materialien geachtet werden. Nur so kann Cradle to Cradle zur Realität werden.
Im Sommer 2025 endet das Projekt des Living Labs NRW. Dazu gehört auch, einen großen Teil der Häuser wieder in den Kreislauf zurückzuführen, damit diese in neuen Projekten wieder genutzt werden können.
Über das Netzwerk C2C Regionen
Das Netzwerk Cradle to Cradle Regionen richtet sich an alle kommunalen Akteur*innen, die C2C als ganzheitliches Leitbild einführen wollen und aktiv an der Gestaltung eines positiven ökologischen Fußabdrucks von Kommunen mitwirken wollen. Das Netzwerk fördert den aktiven Austausch der Mitglieder untereinander durch (digitale) Netzwerktreffen, Exkursionen und Workshops und bietet Wissen und Hilfestellungen rund um C2C in der kommunalen Entwicklung.
C2C Exkursionen sollen als Inspirationen für die Kommunen dienen, um zirkuläre Ideen zu erfahren und in der Praxis umzusetzen. Orte mit Reallabor-Charakter, wie das Living Lab NRW oder das C2C LAB in Berlin inspirieren zu zirkulären Designs, die sich auch an vielen anderen Orten umsetzen lassen.
Um die C2C-Transformation aus dem Lokalen in die Welt zu tragen bringen, verbindet das Netzwerk C2C Regionen die vielen Kompetenzen der Mitwirkenden und lässt sie mit einer Stimme sprechen.
Städte, Landkreise und Gemeinden wie Neustadt an der Weinstraße, Ludwigsburg, Aschersleben, Lüneburg, Krefeld, Köln oder Düsseldorf leisten bereits heute echte Pionierarbeit und gestalten bereits heute verschiedenste Verwaltungsbereiche nach C2C.
Gemeinsam profitieren sie vom Wissensaustausch und sammeln Erfahrungen in der Beschaffung von Dienstleistungen, Produkten oder richten das kommunale Bauwesen nicht nur zirkulär, sondern nach C2C aus.