Der 13. Wohnungsbau-Tag 2022 sollte den Fahrplan liefern, wie Baubranche und Bundesregierung die im Koalitionsvertrag vereinbarten Bauvorhaben der nächsten Jahre umsetzen wollen. Wie realistisch sind die Ziele, ist das angestrebte klimaneutrale Wohnen genug und wie lässt sich das Vorhaben aus Cradle to Cradle-Perspektive beurteilen?
Am 17. Februar 2022 kamen Vertreter*innen der sieben führenden Verbände und Organisationen der Bau- und Immobilienbranche zu einer Neuauflage des Wohnungsbau-Tages in Berlin zusammen. Ebenfalls mit von der Partie waren Bauministerin Klara Geywitz und Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck. Die Erwartungen an das Treffen waren hoch. Schließlich ging es um nichts Geringeres als die Frage, wie Politik und Bauwirtschaft das Ziel von jährlich 400.000 neuen Wohnungen umsetzen wollen. Jede Vierte Wohnung soll hierbei eine Sozialwohnung sein. Der Erfolg des Projektes misst sich auch an der Einhaltung der im Koalitionsvertrag festgelegten Klimaziele: 2045 soll Deutschland klimaneutral wohnen. Ein von den Medien als „Herkulesaufgabe“ bezeichnetes Vorhaben.
Das von dem Verbändebündnis vorgestellte Konzept zur Umsetzung der Bauvorhaben der Ampelkoalition setzt im Wesentlichen auf einen Mix von Neubau und deutlich vermehrten Umbaumaßnahmen im Gebäudebestand. Inhaltlich basiert das Vorgehen auf einer aktuellen Studie des Kieler Bauforschungsinstituts „ARGE für zeitgemäßes Wohnen“. „Aus der vorhandenen Gebäudesubstanz kann erstaunlich viel herausgeholt werden: Das Potential, das allein der Umbau bestehender Gebäude bietet, liegt bei über 4,3 Millionen neuen Wohnungen“, so ARGE-Institutsleiter Dietmar Walberg. Laut der Studie würde dies reichen, um in Kombination mit dem Bau neuer Wohneinheiten die Ziele der Regierung einzuhalten. Der Vorteil? Durch die „Umbau-Offensive“ könnte ein Großteil der benötigten Wohnungen auch ohne die Schaffung von zusätzlichem Bauland erreicht werden.
Umbau von Büroflächen als Lösung?
Eine enorme Chance bietet der Umbau von Büros. Dies geht aus der “Wohn-Inventur für Deutschland” hervor, die ARGE-Chef Walberg für den Wohnungsbau-Tag 2022 vorbereitet hat. Durch die Corona-Pandemie und die einhergegangene Etablierung des Home-Office blieben viele Büroflächen auch über die Pandemie hinaus ungenutzt. Auf diesen Flächen ließen sich rund 1,9 Millionen neue Wohnungen schaffen – und das mehr als 60 Prozent günstiger als beim Neubau.
Auch aus Cradle to Cradle-Sicht ist die Sanierung und Umfunktionierung bestehender Gebäude sinnvoll – sofern sie richtig umgesetzt wird. Hierzu müssen eine Reihe von Faktoren beachtet werden. Eine der Kernfragen beim Bauen im Bestand ist der Umgang mit der vorhandenen Bausubstanz. Diese wurde in der Regel nicht für ein zirkuläres Nutzungsszenario optimiert und muss in Hinblick auf Qualität, Materialgesundheit und Rückbaufähigkeit untersucht werden. Welche Bestandteile können sicher und gesund für Mensch und Umwelt wieder- und weiterverwendet werden? Sind giftige Materialien verbaut und wie können diese nach der Entfernung gefahrlos wieder eingesetzt werden?
All dies sind Fragen, mit denen sich Bauwirtschaft und Politik zwangsläufig beschäftigen müssen. Lineares Bauen und Sanieren, so wie es gegenwärtig meist der Fall ist, führt in eine Sackgasse. Mehr als die Hälfte des gesamtdeutschen Abfallaufkommens entfallen auf die Baubranche – eine enorme Vergeudung von Ressourcen. Zudem verursacht der Sektor rund 40 Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen.
Drei Fliegen mit einer Klappe
Neben der Bestandssanierung von Gebäuden setzt das Konzept des Verbändebündnis auch auf die Schaffung neuer Wohnräume durch Dachaufbauten. Auf Supermärkten, Parkhäusern oder den charakteristischen Plattenbauten der DDR-Zeit ließen sich laut Walbergs “Wohn-Inventur für Deutschland” bis zu 1,5 Millionen neue Wohnungen schaffen – und das rund 25 Prozent günstiger als im Neubau. Ein weiterer Vorteil: Durch die Aufbauten müssen keine neuen Flächen versiegelt werden. Bestand wird genutzt und erweitert. Auch das lässt sich nach Cradle to Cradle umsetzen.
Fest steht jedoch, dass neben Bestandssanierungen und Dachaufbauten auch Neubauten zur Einhaltung des Plans notwendig sein werden. Unabhängig davon, wie der Wohnraum geschaffen wird, gibt es drei große Herausforderungen, denen sich Ampel und Verbände stellen müssen. Klimaziele müssen eingehalten werden, die finanziellen Mittel sind begrenzt und ebenso sind es die für die Bauvorhaben notwendigen Ressourcen. Für jedes der drei Probleme liefert Cradle to Cradle Lösungsansätze.
Ein C2C-inspiriertes Gebäude besteht aus Baustoffen und Produkten, die nach Cradle to Cradle hergestellt wurden. Sie sind kreislauffähig, materialgesund und wurden mit erneuerbarer Energie hergestellt. Zudem wurden bei ihrer Produktion Wasser, Luft und Boden geschützt, oder sogar gereinigt oder aufgebaut. Im zweiten Schritt werden die Materialien durch eine modulare Bauweise so erfasst und verwendet, dass sie einfach zurückgebaut und wiederverwendet werden können. Gebäude werden somit zu Materiallagern, die auch über die Nutzungszeit hinaus ihren Wert erhalten – oder diesen sogar steigern. Dies wiederum birgt erhebliche finanzielle Vorteile. Und auch der Klima-Aspekt wird mitgedacht. C2C-inspirierte Gebäude nutzen erneuerbare Energien, verbessern die Luft- und Wasserqualität und erhöhen, beispielsweise durch die Begrünung der Außenfassade, die Biodiversität. Darüber hinaus fördern sie die Gesundheit der in ihnen lebenden Menschen und haben somit einen positiven Einfluss auf ihre Umwelt.

Klimapositiv als das neue Klimaneutral?
Die häufig als Allheilmittel und erstrebenswertestes Ziel dargestellte Klimaneutralität ist nicht genug. Und genau hier liegt das Problem in dem vorgestellten Konzept. Um die Folgen von Klima- und Ressourcenkrise nicht nur auszubremsen, sondern aktiv eine Verbesserung zu fördern, braucht es ein Umdenken hin zu positiven Zielen. Zudem ist es wichtig, dass Klima und Ressourcen immer zusammen gedacht werden. Sonst werden Klimaprobleme nur zeitlich nach hinten verlagert. Ein Altbau, der im Rahmen der viel umworbenen energetischen Sanierungen mit Dämmstoffen saniert wird, die nach der Nutzung auf der Deponie landen oder verbrannt werden, verschärft das Problem, anstatt es zu lösen.
Ein Paukenschlag, der im Vorfeld des Wohnungsbautages für viel Aufruhr sorgte, kam von Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Mit dem Stopp des KfW-Förderprogramms für das Effizienzhaus-55 machte er deutlich, dass es höherer Standards bedarf, um die Klimaziele der Ampel-Koalition zu erreichen. Die Bezeichnung Effizienzhaus-55 bedeutet, dass ein Haus nur 55 Prozent der Energie eines gesetzlich definierten Referenzgebäudes benötigt. Ab 2023 wird dieser Verbrauch zum Standard für Neubauten. Ab 2025 sinkt der Standard weiter auf 40 Prozent. „Was der Staat fördern sollte ist das, was nicht Standard ist“, erläuterte Habeck diese Änderungen.
Cradle to Cradle – so viel steht fest – ist deutlich ambitionierter als der herrschende und künftige Standard. Denn C2C legt den Fokus nicht nur auf das Thema Energie und die damit verbundenen klimatischen Auswirkungen. Vielmehr decken C2C-inspirierte Gebäude die Aspekte Klima und Ressourcen gleichsam ab. Und echten Klimaschutz kann es ohne einen neuen Umgang mit Ressourcen nicht geben. Mit einer gezielten Förderung von C2C-Bauprojekten könnte die Politik ein Zeichen setzen, worin die Zukunft des Bauens besteht. Gründe dafür gibt es genug. Der Fahrplan von Ampel und Verbänden zeigt eine richtige Richtung auf. Die Weichen müssen jedoch jetzt auf Kreislauf gestellt werden.