Ihr habt sie in der vergangenen Woche wahrscheinlich gesehen. Auf Instagram, Facebook oder Twitter. Fotos von Menschen, die ihre Kleidung auf links tragen und auf Schildern fragen: “Who made my clothes?” Zum sechsten Mal fand vom 20. bis zum 26. April 2020 die Fashion Revolution Week statt. Hier lest ihr, was dahintersteckt – und was diese Aktionswoche mit Cradle to Cradle zu tun hat.
Sladana Munisi, Daniel Ling, Jason Luckau und Steffi Gerber haben eine Gemeinsamkeit: Sie arbeiten für das schwäbische Textilunternehmen Trigema. In der vergangenen Woche konnte man die vier und einige weitere Kolleg*innen auf den Social Media-Kanälen des Herstellers kennenlernen. Denn sie stricken, bleichen oder drucken und tragen so zur Fertigung von Textilprodukten bei. Und sie antworten auf diesem Weg auf die Frage “Who made my clothes?”. Das war das Motto der diesjährigen Fashion Revolution Week, die mehr Transparenz in der globalen Textilwirtschaft zum Ziel hat.
Die Aktionswoche hat einen traurigen Hintergrund. Im April 2013 stürzte der Fabrikkomplex Rana Plaza in Sabhar/Bangladesch ein. Mehr als 1.000 Menschen wurden dabei getötet, rund 2.500 Menschen wurden verletzt – größtenteils Textilarbeiterinnen, die dort für globale Modekonzerne produzierten. Ohne Arbeitsschutz und zu Niedrigstlöhnen. Ein Jahr später rief eine Gruppe von Menschen, die in der Modeindustrie oder angrenzenden Feldern arbeiten, zur ersten Fashion Revolution Week auf. Sie soll die Branche selbst und die Konsument*innen daran erinnern, wer unsere Kleidung unter welchen Umständen und mit welchen Materialien herstellt.
Was ist da eigentlich drin?
Transparenz in Lieferketten und soziale sowie ökologische Standards sind auch Kriterien für die Textilproduktion nach Cradle to Cradle. Neben der Verwendung gesunder, für den Kontakt mit menschlicher Haut geeigneter und biologisch abbaubarer Materialien spielen diese Kriterien eine wichtige Rolle. Es ist daher auch im Sinne von C2C NGO, dass die Fashion Revolution Week in diesem Jahr um die Frage “What´s in my clothes?” erweitert wurde. Denn erstens, stimmen die Angaben auf Etiketten bei Kleidungsstücken nicht immer mit den tatsächlichen Inhaltsstoffen überein. Und zweitens sind längst nicht alle Stoffe, die zur Textilproduktion verwendet werden, auch dafür geeignet. Das gilt auch für T-Shirts, Bademode oder Rucksäcke, die aus Ocean Plastic gefertigt werden. Die daraus entstehenden Kunststofffasern beinhalten nach wie vor jene Schadstoffe, die im Originalprodukt, etwa einer Plastiktüte, enthalten waren. Kunststoffe aus Rohöl sind zudem Fette – und binden als solche im Wasser weitere Schadstoffe. Sie sind also kein gesunder und sinnvoller Rohstoff für ein Shirt, das wir im Idealfall jahrelang am Körper tragen. Auch wenn es auf den ersten Blick als nachhaltig erscheint, Ocean Plastic auf diese Weise zu verarbeiten: Das Müllproblem eines schadstoffhaltigen Kunststoffprodukts wird so nur nach hinten verschoben.
Ähnlich liegt der Fall beispielsweise bei Schuhsohlen aus Autoreifen. Konventionelle Autoreifen bestehen – je nach Zusammensetzung – aus hunderten schädlichen Substanzen, die in der Natur nicht abbaubar sind. Das Material, das bei Reifen durch Abrieb als Feinstaub in der Natur und in unseren Lungen landet, ist weder für diese Nutzung noch als Schuhsohle geeignet. Denn bei jedem Schritt, den wir gehen, reiben sich genau dieselben schädlichen Substanzen ab, gelangen in die Umwelt und verschmutzen sie.
Wer trägt eigentlich die Verantwortung?
Und das ist nicht die einzige Problematik, wenn es um die Textilindustrie und Schäden an Mensch und Umwelt geht: Von giftigen Chemikalien bei der Herstellung, mit denen die Beschäftigten in der Industrie direkt in Kontakt kommen, bis hin zu Schadstoffen und Mikroplastik, die bei jedem Waschgang eines Textils freigesetzt werden und so letztlich in den Weltmeeren und damit wieder in unseren Nahrungsketten landen. Die Verantwortung, Textilien so zu entwickeln und produzieren, dass sie weder bei der Herstellung noch bei der Nutzung Schäden verursachen, liegt bei den Herstellenden. Konsument*innen können die Industrie zur Verantwortung ziehen – indem sie die Praktiken, wie es eben bei der Fashion Revolution Week geschieht, hinterfragen. In der letzten Ausgabe unseres Magazins NÄHRSTOFF sind wir ganz detailliert auf Cradle to Cradle und die Textil- und Fashionindustrie eingegangen. Lest gerne dort nach, wenn euch das Thema, wie uns, beschäftigt.
Bei C2C NGO arbeitet insbesondere das Bündnis Textil an solchen Themen. Das Bündnis steht auch hinter unserem Social Media-Posts zur Fashion Revolution Week:
Das Bündnis will C2C Denkschule und Designkonzept in die Modeindustrie tragen und diese für Kreisläufe und gesunde Mode sensibilisieren. So sollen auch wir als NGO zur Textilwende beitragen.
Dass dies in kleinen Schritten gelingt, zeigt der diesjährige Fashion Transparency Index, den die Initiator*innen der Fashion Revolution Week erheben. Darin sind 250 Modeunternehmen verzeichnet, die ihre Lieferketten in teilweise oder ganz transparent veröffentlichen. Das heißt zwar noch längst nicht, dass es innerhalb dieser Lieferketten keine Missstände gibt – oder gar, dass in den Unternehmen Cradle to Cradle-Kriterien umgesetzt werden. Aber dieser Index ermöglicht es, Hersteller*innen zur Verantwortung zu ziehen.
Zu den 250 im Index erfassten Firmen gehören auch drei Unternehmen, die einzelne, nach Cradle to Cradle zertifizierten Produkte auf den Markt bringen: C&A, GStar Raw und Lidl. Die Angaben aus den Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichten der Firmen werden thematisch unterteilt bewertet. Dabei erreicht keines der 250 Unternehmen vollständige Transparenz. Bei den meisten der Unternehmen mangelt es an Offenheit in Sachen soziale und umwelttechnische Standards (54% aller Marken erreichen hier eine Bewertung von 20% oder weniger). Der Index umfasst zudem nur die am Umsatz gemessen größten Marken der Welt. Kleinere Pionier*innen in Sachen Nachhaltigkeit, oder auch ganz konkret Cradle to Cradle wie eben Trigema oder Melawear, kommen daher in dem Index erst gar nicht vor.