Die Natur ist voll von Wachstumsphänomenen. Daher sollte es durchaus möglich sein, eine mit Wachstum populär gemachte Ökologisierung auch in unserer Wirtschaft hinzubekommen. Aber es gibt da doch ein paar Probleme.
Die Natur funktioniert im Kleinen wie im Großen immer wieder durch „negative Rückkopplung“. Ist die Körpertemperatur zu niedrig, wird sie nach oben korrigiert. Ist das Bakterienwachstum in der Petrischale (oder einer Pfütze) zu rasch, setzen Bremsmechanismen ein.
In der menschlichen Wirtschaft kommt das auch vor, etwa bei der Zunahme von Bankfilialen in einer Stadt. In der Sättigungsphase schafft man keine neuen Filialen. Und Kostendruck und Digitalisierung können zu einer Netto-Abnahme der Filialen führen. Aber wenn man von Wirtschaftswachstum redet, meint man fast immer dauerhafte Zunahme des Wirtschaftsumsatzes um einige Prozente.
Der Ärger ist, dass das in einer begrenzten Welt nicht dauerhaft gehen kann. Nach Herman Daly1 leben wir heute in der „Vollen Welt“, während wir bis etwa 1950 in der „Leeren Welt“ gelebt haben, in der die Ozeane, das Klima, die Biodiversität noch einigermaßen im Naturzustand waren. Die Abbildung unten symbolisiert den Unterschied zwischen leerer und voller Welt.
Herman Daly sagt klar, dass die Ökonomie der leeren Welt in der Hauptsache auf Raubbau basieren konnte: Die Natur war für die anfängliche Menschheit noch unermesslich groß. Für die volle Welt brauchen wir eine völlig neue Ökonomie. In dieser ist ungeregelter Raubbau etwas Verbrecherisches, und die Nicht-Regelung der Wirtschaft ein schweres Staatsversagen.
Jedoch hat sich in dem Hochgefühl, dass die „freie Wirtschaft“ den Kommunismus besiegt hatte, also nach 1990, ein gewaltiger Schub zur Deregulierung politisch durchgesetzt. Das Staatsversagen wurde von den Staaten Selbst aktiv beschlossen. Welche Tragödie, welche Ironie!
Nun muss Zweierlei geschehen: (1) eine Neue Aufklärung muss sich über die Welt verbreiten, in der dieser katastrophale Irrtum der neoliberalen Ideologie eingesehen und korrigiert wird.2 (2) in einer leider weitgehend ungeregelten Welt müssen Einzelne sich darum kümmern, dass der Raubbau an der Natur trotzdem abgemildert wird, schließlich zum Ende kommt und wir eine intelligente Wirtschaft gestalten, die ganz anders funktioniert. Die Cradle to Cradle-Vision3 ist einer der wichtigsten Ansätze der zweiten Art. Wenn Hersteller sich mit dem Ziel der gesunden kreislaufähigen Wirtschaft identifizieren und Verbraucherinnen und Verbraucher diesesdurch ihr Kaufverhalten honorieren, ist eine Regelung nicht wirklich nötig. Jedoch kann eine gute Regelung die Durchsetzung der Cradle to Cradle-Vision gewaltig beschleunigen.
Im Übrigen ist die C2C-Vision nicht das Einzige, was man tun kann. Im Bereich Energie ist der Verbrauch von Natur nach dem Zweiten Hauptsatz der Wärmelehre unvermeidlich. Er kann aber dramatisch vermindert werden. Das ist der Grundgedanke von „Faktor Vier“ und ähnlichen Büchern4. Hierzu ein Rechenbeispiel: Um ein 10-Kilo-Gewicht von Meereshöhe auf den Gipfel des Mount Everest hochzuheben, braucht man physikalisch nur eine Viertel Kilowattstunde. Das ist sicher hundertmal weniger, als bei sämtlichen menschlichen Energieverwendungen mit vergleichbaren Leistungen verbraucht werden. Das Potenzial zur Verbesserung der Energieeffzienz ist absolut gigantisch. Aber es wird längst nicht ausgeschöpft, weil es sich wirtschaftlich nicht lohnt. Weil die Energie viel zu billig ist.
Damit sind wir bei der Frage der Regelung. Für C2C kann es äußerst hilfreich sein, die Produktverantwortung auf die Zeit nach der menschlichen Nutzung auszudehnen. Dann müssen Firmen ihre Produkte quasi kostenlos zurücknehmen. Und dann haben sie ein riesiges Interesse daran, dass die zurückgenommenen Güter problemlos materiell wiederverwertet werden können, oder dass sie durch einfache Reparatur oder auch nur Wartung wieder an den Kunden kommen kann.
Im Bereich Energie (und Wasser) ist eine andere Form der Regelung vernünftiger: Man sollte den Energiepreis jedes Jahr um gerade so viel Prozent teurer machen, wie im abgelaufenen Jahr die Nutzungseffzienz im Durchschnitt zugenommen hat. Wenn die deutsche Autoflotte 2018 um 1,6 % sprit-effzienter wird, würde nach dieser Vorgabe der Sprit 2019 um 1,6 % (plus Inflation) teurer. Dann würde der gefahrene Kilometer im Durchschnitt nicht teurer, aber es entstünde ein scharfer Wettbewerb der Autohersteller, beim Effzienzgewinn schneller zu sein als die Konkurrenz. Und die Perspektive der laufenden Teuerung des Naturverbrauchs würde den „Rebound-Effekt“ weitestgehend überwinden, der heute darin besteht, dass alle Effzienzgewinne durch zusätzlichen Konsum (z. B. Autokilometer pro Jahr) wieder aufgefressen werden. Eine solche Dynamisierung des technischen Fortschritts wäre dann auch die Antwort auf die Eingangsfrage, ob sich Wachstum und Umwelt miteinander vertragen können: Ja, das kann in Harmonie gehen, wenn man dafür sorgt, dass es immer lukrativer wird, möglichst wenig Energie, Wasser, Flächenversiegelung zu verbrauchen. Und C2C würde massiv beschleunigt, wenn man auch Primärmineralien in die Teuerungsschraube einbezieht.
Ernst Ulrich von Weizsäcker Naturwissenschaftler und Politiker, entwickelte schon in den frühen 1990er Jahren im Faktor4-Bericht an den Club of Rome Ideen für eine zukunftsfähige, ressourcenschonende Wirtschaft. Er ist Co-Präsident des International Resource Panels (UNEP) und des Club of Rome. Für sein Engagement wurde er u. a. mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet. www.ernst.weizsaecker.de
1 Herman Daly, „Economics for a Full World“ Great Transition Initiative (June 2015), www.greattransition.org/publication/economics-for-a-full-world.
2 Vgl. hierzu: Ernst v. Weizsäcker u. Anders Wijkman (Hg.) Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Eine neue Aufklärung für die Volle Welt. Der große Bericht des Club of Rome. 2017. Gütersloher Verlagshaus.
3 Michael Braungart und William McDonough. Cradle to Cradle. Einfach intelligent produzieren. TB. 2014. München: Piper.
4 Ernst v. Weizsäcker, Amory Lovins und Hunter Lovins. Faktor 4. Doppelter Wohlstand, halbierter Naturverbrauch. 1994. München. Droemer Knaur. Ernst v. Weizsäcker, Charlie Hargroves u.a. Faktor Fünf. Die Formel für nachhaltiges Wachstum. 2006 München. Droemer Knaur. Amory Lovins und Rocky Mountain Institute. Reinventing Fire. 2011. White River Junction: Chelsea. Chelsea Green.
Dieser Beitrag ist erstmals im Printmagazin NÄHRSTOFF #4 erschienen.