Zum 9. Mal trafen sich am 13. und 14. März rund 1.000 Expert*innen aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft an der TU Berlin zum Internationalen Cradle to Cradle Congress. Der diesjährige Congress, der unter der Schirmherrschaft von Bundesumweltministerin Steffi Lemke stattfand, bot Einblicke in die Chancen einer Transformation hin zu Cradle to Cradle in Zeiten multipler Krisen. In diesem Blogeintrag fassen wir das Programm des ersten Tages zusammen.
Seit dem ersten C2C Congress 2014 in Lüneburg mit rund 600 Teilnehmenden hat sich die Veranstaltung fast verdoppelt. Insgesamt haben über die Jahre mehr als 7.000 Besucher*innen an der Konferenz teilgenommen. Zum Auftakt des 9. Congress zogen Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen, Co-Gründer*innen und geschäftsführende Vorständ*innen von Cradle to Cradle NGO, ein positives Resümee: „Es ist großartig, dass so viele Menschen diese Reise mit uns gemacht haben.“
Auch das Thema Zirkularität hat an Bedeutung gewonnen. Wurde es 2014 noch belächelt, ist es heute fester Bestandteil politischer und wirtschaftlicher Agenden. Dennoch besteht die Gefahr, dass andere politische Themen es in den Hintergrund drängen. „Krisen verschwinden nicht, nur weil neue hinzukommen. Wir können es uns nicht leisten, wertvolle Ressourcen zu verschwenden, nur weil gerade ein anderes Thema wichtiger erscheint“, so Griefahn und Janßen.
Auch von der Gastgeberin wurde hervorgehoben, dass Cradle to Cradle mehr ist als ein Konzept. „Es ist ein grundlegendes Umdenken in der Art, wie wir produzieren und konsumieren. Es zeigt uns Wege auf, die uns mehr Lebensqualität versprechen, auch hier, in unserem Alltag“, sagte Prof. Dr. Fatma Deniz, Vizepräsidentin für Digitalisierung und Nachhaltigkeit der TU Berlin. „Deshalb sind sowohl die TU Berlin als auch ich persönlich stolz, Gastgeberin dieser wichtigen Veranstaltung zu sein.”
Inspirierende Keynotes zum Auftakt des Congresses
In der ersten Keynote des Congress veranschaulichte Dr. Eckart von Hirschhausen den Zusammenhang zwischen Cradle to Cradle, Gesundheit und Natur. Luftverschmutzung, die unter anderem durch nicht abbaubaren Reifenabrieb entstehe, sei gesundheitsschädlich, da kleinste Feinstaubpartikel leicht in den Blutkreislauf und das Gehirn gelangen könnten. Oft gebe es lediglich reaktive Maßnahmen, anstatt das Problem an der Wurzel zu lösen. „In vielen Städten hat jeder dritte Mensch ein Asthmaspray, was jedoch nicht die Lösung des Problems darstellt, sondern nur die körperliche Reaktion unterdrückt“, so von Hirschhausen.
C2C-Vordenker Prof. Dr. Michael Braungart hob in seiner Keynote die Einzigartigkeit des Cradle to Cradle-Prinzips hervor. „Cradle to Cradle ist das einzige Konzept, das den Menschen willkommen heißt, statt nur zu fragen, ob er 10 % weniger schlecht sein kann“, so Braungart.
Biodiversität fördern durch Cradle to Cradle
Im ersten Congress-Panel widmeten sich drei Speaker*innen den Zusammenhängen zwischen Cradle to Cradle und der Stärkung der Biodiversität. C2C verstehe die Natur als Partnerin, deren Rohstoffe genutzt, aber nicht verbraucht werden. „Biodiversität, Natur und Cradle to Cradle sind intrinsisch miteinander verknüpft“, so Dr. Sonja Stuchtey, CEO der Landbanking Group. Jan Philipp Albrecht, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, betonte die Bedeutung geschlossener Kreisläufe als „die Grundvoraussetzung dafür, dass wir Artenvielfalt und Biodiversität zurückerlangen.“
Michael Braungart plädierte dafür, dass Unternehmen Rohstoffe „leihen“ statt besitzen sollten. Er sprach sich zudem dafür aus, dass Länder nur die Nutzungsrechte an ihren Rohstoffen abgeben könnten, das Eigentum daran jedoch im Land verbleibe. Dies könne in vielen Regionen der Welt für langfristige wirtschaftliche Stabilität und ökologische Resilienz sorgen.
Auch die Politik sei hier gefragt: Ein klarer Hinweis auf die falschen Rahmenbedingungen sei, dass die Wiederverwendung mancher Stoffe teurer sei als die Nutzung neuer Rohstoffe.
Cradle to Cradle in der Wissenschaft
Die TU Berlin wurde nicht ohne Grund als Gastgeberin des Congress gewählt – hier wird Cradle to Cradle tagtäglich erforscht. Prof. Dr. Dodo zu Knyphausen-Aufseß erklärte, dass mehrere Studiengänge an der Universität das Thema C2C aus verschiedenen Perspektiven behandeln. Studierende präsentierten ihre Arbeiten zu C2C, darunter das Konzept „Product as a Service“, das die Nutzung von Produkten anstelle ihres Besitzes in den Fokus stellt, sowie die Untersuchung der Intention-Behavior-Lücke in der Modeindustrie.
NKWS umsetzen, Cradle to Cradle voranbringen: Nächste Schritte in Politik & Wirtschaft
Kreislaufwirtschaft spiele für Deutschland als rohstoffarmes Land eine wichtige Rolle, sagte Dr. Christiane Rohleder, Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, in ihrer Keynote. Cradle to Cradle sei eine Lösung für Umweltfragen wie gesunde Natur und stabile Wasserversorgung. Mit Blick auf die im Dezember 2024 verabschiedete Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) warnte Rohleder, dass diese Themen auch in der nächsten Legislaturperiode nicht von der Agenda verschwinden dürften. Dies wäre „höchst fahrlässig“, da es um die Sicherheit gehe.
Das Panel im Anschluss an diesen Impuls beschäftigte sich damit, wie die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie in Politik und Wirtschaft umgesetzt werden könne.
Lars Baumgürtel, Geschäftsführender Gesellschafter der ZINQ Group, begrüßte die NKWS, forderte jedoch einen stärkeren Fokus auf die zirkuläre Qualität des eingesetzten Materials. Er erklärte, dass „unsere Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie massiv hinter die Ökodesign-Verordnung der EU zurückgefallen sei, die das Produktdesign stärker in den Vordergrund stelle“. Auch Herwart Wilms, Geschäftsführer des Entsorgungsunternehmens Remondis, betonte, dass eine funktionierende Kreislaufwirtschaft nicht mit Abfallentsorgung, sondern mit gut gestalteten Produkten beginne. Deutschland sei bei der angestrebten Steigerung der Ressourcenproduktivität um 40 % bis 2020 „krachend gescheitert“.
Ein großes Problem sei, dass Materialien oft nicht eindeutig identifizierbar seien, wenn sie nach Jahren in den Recyclingkreislauf zurückkehrten, sagte Sebastian Schwanhäußer, CEO der Schwanhäußer Industrie Holding. Er erklärte, dass deshalb mit NFC-Chips experimentiert werde, um Materialien besser kennzeichnen und trennen zu können. Kerstin Erbe, Geschäftsführerin der Drogeriemarktkette dm, ergänzte, dass ihr Unternehmen einen hohen Anteil an Rezyklaten verwende. „Heute gehen wir in Vorleistung, da für Rezyklate doppelt so viel gezahlt werde, wie für Virgin Plastic. Deswegen skaliert es nicht,“ so Erbe.
Fit für die Zukunft – Wie gestalten wir Transformation?
Im nächsten Programmpunkt wurde die Frage aufgeworfen, wie Transformation erfolgreich gestaltet werden könne. Nora Sophie Griefahn betonte, dass Kooperation entscheidend sei und dass im Bereich Umweltschutz und Ressourcennutzung nicht alles neu erfunden werden müsse. Elwyn Grainger-Jones, Geschäftsführer des Cradle to Cradle Products Innovation Institute, wies auf die Vielzahl konkurrierender Zertifikate hin, die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte setzten. Der Cradle to Cradle Product Standard ziele darauf ab, die Kreislaufwirtschaft umfassend umzusetzen, indem er Materialgesundheit, soziale Fairness und Umweltaspekte berücksichtige. Ken Webster, Fellow am Cambridge Institute for Sustainability Leadership, hob hervor, dass Kreislaufwirtschaft besonders kleinere Akteur*innen stärke und verwies auf das Preston-Modell, das lokale Unternehmen und regionale Ressourcen durch öffentliche Beschaffung fördere.
Der Weg zu einer kreislauffähigen Bauwirtschaft
„Es ist nicht nur das Produktdesign, es ist nicht nur der Rohstoff, sondern es ist eine Veränderung im Mindset einer ganzen Firma“, beschrieb Dagmar Fritz-Kramer, Geschäftsführerin von Baufritz, den Umstieg auf Cradle to Cradle in ihrer Keynote. Sie betonte, dass die Baubranche noch nicht ressourceneffizient genug sei, aber sie an die Möglichkeit glaubte, dies zu ändern. Als Beispiel nannte sie den C2C-zertifizierten Dämmstoff, der in den Fertigbau-Holzhäusern von Baufritz verwendet werde und auf eine Erfindung ihres Urgroßvaters zurückgehe. Dieser habe während des Ersten Weltkriegs Holzspäne als Dämmmaterial genutzt, das später mit Soda für Ungeziefer- und Molke für Brandschutz behandelt worden sei. Heute gelte dieser Dämmstoff als der CO₂-freundlichste Europas.
Was die Chemieindustrie zu Cradle to Cradle beitragen kann
Die Chemieindustrie könnte zu einem Hebel für die Kreislaufwirtschaft nach Cradle to Cradle werden. Doch wie gelingt der Wandel vom „wahrgenommenen Verschmutzer“ zum echten „Verbesserer“?
Die Chemieindustrie müsse Forschung auf Zirkularität ausrichten, sagte Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts. Trotz jahrzehntelanger Diskussionen über Kreislaufwirtschaft seien „nur 13 % der Ressourcen, die im Produktionsprozess verwendet werden, nicht zum ersten Mal, sondern zum zweiten oder dritten Mal in Gebrauch“, kritisierte Messner.
Innovation sei der Schlüssel zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft – nicht nur für Verpackungen, sondern auch für Inhaltsstoffe von Produkten wie Cremes und Lotionen, sagte Gitta Neufang, Chief Research & Development Officer bei Beiersdorf. Sie verwies auf die Notwendigkeit technischer Fortschritte, etwa durch Carbon Capture Utilization.
Peter Saling, Director Sustainability Methods bei BASF, ergänzte, dass jeder von uns täglich zwischen 1.000 und 2.000 chemische Produkte nutze. Diese müssten jedoch nachhaltig gestaltet werden. Dafür brauche es Forschung, die sowohl die Sicherheit dieser Produkte als auch deren Recyclingfähigkeit garantiere.
Isabel Thoma, Head of Impact bei Traceless, erklärte, dass das Unternehmen auf der Idee von Cradle to Cradle basiere. „Wir nutzen Reststoffe aus der Agrarindustrie, um natürlichen Plastikersatz herzustellen“, sagte Thoma. Dies unterscheide sich von der traditionellen Chemieindustrie, da keine synthetischen Moleküle erzeugt, sondern Naturpolymere aus pflanzlichen Reststoffen extrahiert würden.
Cradle to Cradle als Chance in unklaren Zeiten
Im folgenden Panel diskutierten SPD-Staatsministerin Sarah Ryglewski und CDU-Abgeordneter Ralph Brinkhaus, wie Cradle to Cradle in unsicheren Zeiten als Chance genutzt werden kann. Ryglewski unterstrich, dass Nachhaltigkeit untrennbar mit Transformation verbunden sei, wobei die Kreislaufwirtschaft eine Schlüsselrolle spiele. Die Kreislaufwirtschaft bedeute weit mehr als Recycling, so Ryglewski. Entscheidend sei, dass wir bei der Entwicklung von Produkten und Geschäftsmodellen über das Ende ihres Lebenszyklus nachdenken.
Brinkhaus plädierte dafür, Nachhaltigkeit stärker auf die politische Bühne zu setzen. Es verdiene ein „richtiges Gesicht“, das von einer Person vorangetrieben werden müsse. Ein möglicher Ansatz sei, die Silostrukturen innerhalb der Ministerien aufzubrechen und projektorientiert zu gestalten. Allerdings räumte Brinkhaus ein, dass eine solche Veränderung in der laufenden Legislaturperiode nicht realistisch sei.
Blueprint: Die Niederlande
Die Niederlande gelten seit Jahren als Vorreiter in der Circular Economy innerhalb der EU. In seiner Keynote betonte Prinz Pieter-Christiaan van Oranje-Nassau, dass es entscheidend sei, C2C aus der Nische herauszuholen. „Vorbilder und Motivatoren“ seien notwendig, um die damit verbundenen Chancen aufzuzeigen. Ein weiterer Schlüssel sei die Bildung: „Wir müssen Kindern C2C beibringen“, um den Wandel voranzutreiben und Kreislaufwirtschaft zur Norm zu machen.
Der C2C Congress zeigt: Die Transformation ist in vollem Gange – doch sie braucht mutige Entscheider*innen, die sie vorantreiben. Wie kann jede*r Einzelne dazu beitragen, C2C zur neuen Normalität zu machen? Wir freuen uns auf ein Wiedersehen 2026 in Berlin! Save the Date! Der 10. Internationale Cradle to Cradle Congress findet am 17. und 18. September 2026 an der TU in Berlin statt.