Unser Labor Tempelhof ging an einem heißen Augustwochenende in die zweite Runde. Wie schon 2022, bei den ersten cradelig gestalteten Konzerten mit Die Ärzte und damals auch den Toten Hosen, haben wir bei der zweiten Auflage möglichst viele an Cradle to Cradle orientierte klima- und ressourcenpositive Produkte, Prozesse und Innovationen umgesetzt und auf ihre Skalierbarkeit getestet. Wir zeigen mit dem Labor Tempelhof: Großveranstaltungen lassen sich so umsetzen, dass sie möglichst gut für’s Klima sind und Mehrwert statt Müll produzieren.
Bei Labor Tempelhof am 23., 24. und 25. August 2024 haben wir eine Schippe drauf gelegt. Es wurde noch cradeliger, denn wir haben mehr Cases umgesetzt als 2022, insgesamt rund 35. Neu dabei war zum Beispiel der “Phantor”, eine containergroße Maschine, die 10.000 Liter Wasser pro Tag aus der Luft filtern kann. Das Projekt wurde noch konsequenter, denn wir haben viele Cases größer skaliert. Beispielsweise war das Speisenangebot dieses Mal 100 % vegetarisch-vegan, und das Mehrwegsystem umfasste nicht mehr nur die Becher, sondern auch das Geschirr. Dieses Jahr war es noch lauter, denn … na ja, dafür mussten schon die Ärzte sorgen.
Eingerahmt wurden die Konzerte von einem Informationskonzept über Cradle to Cradle für Besuchende, politische Entscheidungsträger*innen und die Veranstaltungsbranche. Über das ganze vergangene Jahr hinweg haben C2C NGO und Partner*innen die verschiedenen Aspekte des Labor Tempelhofs in der elfteiligen Veranstaltungsreihe “Berlin, du bist so cradlebar” weitergedacht und sie in unserer Ausstellung “Kreis statt Krise” von Februar bis Juli im “Freiraum in der Box” in Friedrichshain der Öffentlichkeit vorgestellt. Während der Konzerttage haben ca. 200 freiwillige C2C-Botschafter*innen den Konzertbesucher*innen die Cases näher gebracht.
C2C Summit: Die Zukunft der Kulturbranche liegt in Cradle to Cradle
Am Rande des ersten Konzerttages haben wir beim “C2C Summit: Labor Tempelhof” mit politischen Gäst*innen sowie Umsetzungspartnern des Labors darüber gesprochen, wie C2C die Zukunft der Kulturbranche und unsere Gesellschaft verändert und welche Rolle das Labor dabei spielt.
Isabel Gomez, Mitglied der Geschäftsleitung von C2C NGO und Tabea Kaplan, Geschäftsführerin von Loft Concerts, stellten den Summit-Teilnehmer*innen das Projekt vor: “Unser Ziel bleibt es, mit dem Projekt auch ein Signal an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu senden”, so Gomez. “Die Transformation hin zu einer klima- und ressourcenpositiven Gesellschaft ist nicht nur nötig, sondern möglich und C2C ist der richtige Ansatz dafür”. Kaplan ergänzte: “Unsere Branche muss sich wandeln und das schaffen wir nur zusammen. Wir müssen gemeinsam ins Handeln kommen, um zukunftsfähige Lösungen zu etablieren, die sowohl ökologisch, als auch ökonomisch und sozial nachhaltig sind.”
„Wir brauchen Projekte, die Mut machen und die zeigen, was möglich ist. Das tut unserem Land gut”, betonte Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, in seiner Keynote. “Für die Politik ist das Labor Tempelhof hilfreich. Um voranzukommen, muss man sich trauen, Spielräume zu nutzen. Das Labor Tempelhof zeigt, was diese Spielräume sein können. Wo das Projekt an Hürden stößt, wird sichtbar, wo Politik die Rahmenbedingungen verbessern kann.”
Auf dem anschließenden Panel diskutierten Gomez, Kaplan und Kellner den Impact von Labor Tempelhof, gemeinsam mit Fabian Schmitz-Grethlein, Geschäftsführer der Tempelhof Projekt GmbH und Kiki Ressler, Geschäftsführer des Mitinitiators KKT GmbH – Kikis kleiner Tourneeservice. “Großveranstaltungen auf dem Flughafen Tempelhof so kreislauffähig und ressourcenpositiv wie möglich zu gestalten, ist uns Anliegen und Auftrag gleichermaßen”, bekannte Schmitz-Grethlein. “Dafür arbeiten wir daran, die nötige Infrastruktur, vor allem in Hinblick auf Mobilität und Energie, bereitzustellen.” Ressler stellte das Sozialticket vor, ein Vorzeige-Case für die Sozialkomponente von Cradle to Cradle: “Die Entwicklung der Ticketpreise bei Großkonzerten ist absurd. Wir machen doch Kultur und verkaufen keine Flugtickets oder Hotelzimmer! Wer einen Berechtigungsschein des Landes Berlin besitzt, erhielt die Tickets für 19,90 Euro. Zwei Prozent der Tickets für die drei Konzerttage wurden als Sozialtickets verkauft.”
Cradle to Cradle – und nicht zuletzt das Labor Tempelhof selbst – inspirieren andere Projekte, das verdeutlichte das Panel “Große Bühne. Fails und Erfolge – Zirkularität in der Eventbranche”. Moderiert von Jule Kauert, Projektleitung für das Labor Tempelhof bei Loft Concerts, berichteten Michael Fuchs (Sustainability Manager beim Berlin Marathon-Veranstalter SCC Events), Katharina Weber (Projektmanagerin bei Yourope – The European Festival Association) und Katja Mailahn (Geschäftsführerin der Mainzplus Citymarketing GmbH) von Herausforderungen und Chancen bei ihren Projekten. Bei einem Marathon spiele das Thema Kreislaufwirtschaft eine große Rolle, da große Mengen Material im Umlauf sei, sagte Fuchs. Weber verwies auf eine eigene Umfrage, bei der mehr als 80 % der befragten Veranstalter angegeben hatten, sich eine klimaneutrale Veranstaltung zum Ziel gesetzt zu haben, rund die Hälfte davon möchte dies bis spätestens 2030 erreichen. In diese Richtung entwickle sich auch das Veranstaltungsangebot von Mainzplus Citymarketing, sagte Mailahn. Bei der Sommerkonzertreihe, die das Mainzer Kommunalunternehmen umsetzt, habe man sich konkret das Labor Tempelhof zum Vorbild genommen.
Die Summitteilnehmer*innen konnten sich bei einer Führung über das Konzertgelände ein Bild von den Cases machen, bevor weitere Panels verschiedene Aspekte von Labor Tempelhof vertieften.
Ein Panel mit Marcel Tietze, Geschäftsführern von Loft Concerts und Pascal C. Thirion, Bereichsleiter Vermietung bei Tempelhof Projekt GmbH diskutierte aktuelle und zukünftige Herausforderungen für den Flughafen Tempelhof als Location, die klima- und ressourcenpositive Veranstaltungen möglich machen will. Mit seiner Geschichte, sehr präsenten Lage mitten in der Stadt, und langfristigen Zielen des Tempelhof Projekts hat der gesamte Flughafen als Location ein Stück weit Laborcharakter.
Josephine Kreische von Vytal Global, Caroline Kraas vom WWF, Sandra Tomašević von Project Together, Karen Matthiesen vom Gastro Team Bremen und Amrei Karsch von Loft Concerts zeigten, dass die Organisation eines Mehrwegsystems bei einer komplexen Veranstaltung auf einer guten Zusammenarbeit basiert. Das Labor Tempelhof wurde von den Initiatoren in Kooperation mit der Allianz mehrweg.einfach.machen (initiiert von WWF, Project Together und dem Mehrwegverband) auch als Möglichkeit genutzt, gemeinsam mit der Kühne Logistics University Daten zum Nutzungsverhalten und zur Akzeptanz des Mehrwegsystems auf dem Konzertgelände zu erfassen. Sie werden nach den Konzerten ausgewertet und veröffentlicht. Die Studie soll, wie auch die Umsetzung im Labor Tempelhof, dazu beitragen, Mehrwegsysteme bei Großveranstaltungen zum neuen Normal zu machen.
Daniel Anthes, Gründer und Geschäftsführer der Brauerei Knärzje, illustrierte, wie stark Lebensmittelverschwendung zur Freisetzung von Treibhausgasen beiträgt und präsentierte Knärzjes Ansatz, verschmähtes Brot vor der Mülltonne zu retten und als Grundlage für Bier zu verwenden. Damit wird nicht nur Lebensmittelverschwendung vorgebeugt, sondern auch Anbaufläche freigesetzt.
Florian Augustin, Geschäftsführer von Finizio – Future Sanitation, zeigte einen Weg, wie die Abhängigkeit von Phosphorimporten gebrochen werden kann, wenn menschliche Ausscheidungen zur Produktion von Dünger genutzt werden. Inzwischen sind Finizios Trockentoiletten und die Anlage bei Eberswalde ein Vorzeigeprojekt geworden, doch die aktuelle Gesetzeslage verbietet noch die Ausbringung von Dünger aus menschlichen Fäkalien und verhindert so, dass die Gesellschaft von dieser Innovation profitieren kann. Um dies zu ändern, wertet Finizio im Rahmen des Forschungsprojekts ZirkulierBar die Erkenntnisse aus Feldversuchen in Eberswalde aus, die Florian Augustin zufolge bisher sehr positiv sind.
Labor Tempelhof – ein Gemeinschaftsprojekt
Im Projekt Labor Tempelhof steckt die monatelange Vorbereitungsarbeit des Teams von C2C NGO und den weiteren Initiatoren sowie das Engagement von knapp 200 freiwilligen Botschafter*innen, die den Konzertbesucher*innen Cradle to Cradle näher gebracht haben. Ähnliches wurde von den vielen Mitarbeiter*innen der rund 50 Umsetzungspartner*innen geleistet. Beim Konzert fließen alle Cases zusammen und ermöglichen ein Rockkonzert, das Teil der Lösung statt des Problems ist. Der Moment, als der erste Song begann und die Menge abging, war die Krönung einer intensiven, aber umso lohnenswerteren Zusammenarbeit von vielen Akteur*innen, die an unzähligen Stellschrauben drehen, damit Kulturgenuss ökologischen, ökonomischen und sozialen Mehrwert schafft. Denn schließlich ist es nicht unsere Schuld, dass die Welt ist wie sie ist. Aber es wäre unsere Schuld, wenn sie so bleibt.