Die Kanzlerwahl am 06. Mai war dann doch aufregender als erwartet. Wieder einmal hat sich gezeigt, vor welchen Herausforderungen die Politik nach wie vor steht. Nichtsdestotrotz steht nun die neue Regierung, und damit tritt auch der Koalitionsvertrag in Kraft. Wir haben uns den Koalitionsvertrag genauer angeschaut und geprüft, was zur Kreislaufwirtschaft darin steht.
Wir sehen das Potenzial, dass der Koalitionsvertrag das Thema Kreislaufwirtschaft voranbringen kann, und es gibt einige Punkte, an die wir als NGO anknüpfen können. Positiv bewerten wir das angekündigte Eckpunktepapier mit kurzfristig realisierbaren Maßnahmen auf Grundlage der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie. Auch die vorhergesehene Stärkung der Forschung zur Kreislaufwirtschaft oder die Digitalisierungsinitiative zur Schließung von Stoffkreisläufen sind Schritte in die richtige Richtung. Solche Maßnahmen könnten schnell wichtige Prozesse in Gang bringen, wenn sie nicht nur ein Lippenbekenntnis bleiben, sondern auch mit den richtigen Zielen hinterlegt werden. Voraussetzung muss eine Kreislaufwirtschaft nach Cradle to Cradle sein, die beim Design ansetzt. Als NGO werden wir uns hier aktiv mit Impulsen einbringen. Unser Netzwerk an Unternehmen, Kommunen und Akteur*innen bringt Gestaltungswillen mit und zeigt heute schon, wie Cradle to Cradle in der Praxis funktioniert.
Dennoch stellen wir fest, dass das Thema an vielen Stellen zu kurz gedacht wird. Zum Beispiel die Verortung der Kreislaufwirtschaft unter Klima und Energie. Eine zukunftsfähige Kreislaufführung nach Cradle to Cradle ist kein reines Umweltthema, sondern eine Wirtschafts- und Gesellschaftsstrategie und gehört als diese ins Zentrum politischer Gestaltung.
Immer noch wird die Kreislaufwirtschaft zu stark auf Recycling reduziert. Die vorgesehene Etablierung des chemischen Recyclings in der Abfallhierarchie birgt die Gefahr, zum Einfallstor für Greenwashing zu werden, insbesondere wenn es auch bei einem Output mit geringer Materialität als „Recycling“ gilt. Auch der Absatz zur Rohstoffpolitik geht aus unserer Sicht in die falsche Richtung. Ziel ist die Stärkung der europäischen Primärrohstoffindustrie. Statt den Umgang mit Ressourcen neu zu denken, wird weiterhin auf Reduktionsstrategien gesetzt. In Zeiten weltweiter Umwälzungen brauchen wir eine resiliente Rohstoffnutzung. Die Antwort darauf lautet Cradle to Cradle: Rohstoffe zirkulieren in kontinuierlichen Kreisläufen, werden dabei genutzt, aber nicht verbraucht.
Was der Politik nach wie vor fehlt, ist ein Ansatz, der Lösungen und verschiedene Aspekte gesellschaftlichen Handelns, darunter auch die Wirtschaft, miteinander verknüpft. Cradle to Cradle bietet der Politik der 21. Legislaturperiode jetzt die Möglichkeit, Herausforderungen mit einer ganzheitlichen Strategie zu begegnen, die nicht nur Schäden begrenzt, sondern echten ökologischen, ökonomischen und sozialen Mehrwert schafft. Cradle to Cradle trägt mit positiv gesetzten Zielen zur Lösung der größten Herausforderungen unserer Zeit bei. Dieses Potenzial nicht zu nutzen, wäre eine vertane Chance!