Weltweit leben immer mehr Menschen in urbanen Räumen – Tendenz steigend. Gleichzeitig nehmen Umwelt-, Klima und Ressourcenprobleme zu. Höchste Zeit für neue Wege in der Gebäude- und Stadtentwicklung: sozial, innovativ und ohne Ressourcen zu verschwenden.
Auf den ersten Blick ist Straubenhardt eine gewöhnliche Gemeinde. Rund 11.000 Einwohner*innen leben dort zwischen Nordschwarzwald und Kraichgau. Es gibt dutzende Vereine, zwei Büchereien und eine Musikschule. Tatsächlich ist Straubenhardt aber eine der innovativsten Gemeinden Deutschlands. Sie hat sich der Kreislauffähigkeit und dem Ressourcenschutz verschrieben und sich auf den Weg in eine Zukunft gemacht, die gesund für die Bevölkerung und die Umwelt ist.
Den Vereinten Nationen zufolge wächst die Weltbevölkerung bis 2050 von derzeit knapp 8 Milliarden auf 10 Milliarden Menschen. Zwei Drittel davon werden in urbanen Gebieten leben. Gleichzeitig sorgt der Ressourcenverbrauch der Bevölkerung und ihrer Wirtschaft für Rohstoffknappheit. Erdöl, Metalle und Wasser sind nur einige Stoffe, um die es schon heute politische Spannungen und Kriege gibt. Diese Entwicklung hat maßgeblichen Einfluss darauf, wie wir in 20 oder 50 Jahren leben. Helge Viehweg ist das klar. Seit 2013 ist er Bürgermeister in Straubenhardt und will die Gemeinde zu einem wirklich nachhaltigen Ort machen. Nachdem er erstmals vom Kreislaufansatz C2C gehört und diesen in den Gemeinderat getragen habe, war klar: „Wir wollen bei der Entwicklung unserer Gemeinde nicht weniger schlecht sein, sondern gut“, sagt er.
Nachhaltigkeit kann heute alles oder nichts bedeuten. Die meisten Definitionen eint der Fokus auf die Reduktion von CO2-Emissionen. C2C setzt breiter an und will die Dinge gut machen statt nur ein bisschen weniger schlecht. C2C-Produkte sind kreislauffähig. Ihre Bestandteile sind biologisch abbaubar oder sortenrein trennbar und so wirklich recycelbar – sie können ewig im biologischen oder im technischen Kreislauf zirkulieren. So entsteht kein Müll und perspektivisch müssen keine endlichen Ressourcen mehr abgebaut werden. Weitere Kriterien sind Gesundheit der eingesetzten Materialien, die Nutzung erneuerbarer Energien, die Einhaltung sozialer Standards und die Kreislaufführung von Wasser.
GEBÄUDE WERDEN MIT C2C ZUM MATERIALLAGER
Seit 2019 baut die Gemeinde Straubenhardt ein Feuerwehrhaus nach C2C-Kriterien. Es ist rückbaubar und das heißt: keine Verklebungen, Kunststoffbeschichtungen oder Verbundmaterialien, die eine sortenreine Trennung der Baustoffe verhindern. Welches Material an welcher Stelle wie verbaut wurde, wird dokumentiert. So wird das Feuerwehrhaus zum Materialdepot.
Seit Jahren nimmt die Zahl der C2C-Bauten ständig zu, denn immer mehr Architekt*innen und Immobilienentwickler*innen legen einen Schwerpunkt darauf. Jörg Finkbeiner von Partner und Partner Architekten arbeitet derzeit an einem Gebäude für die Kindertagesstätte Ziegelhof in Berlin-Spandau. Dort liegt der Fokus auf gesunder Innenraumluft. „Das bedeutet, dass zum Beispiel auf Dispersionsanstriche verzichtet werden kann. Die Massivholzwände regulieren die Innenraumluftfeuchte und sorgen für ein gesundes Raumklima“, sagt der Architekt.
Ein weiterer Aspekt ist der Umgang mit der beim Bau versiegelten Fläche. „Wir müssen überlegen, wie wir diesen Eingriff in natürliche Ökosysteme ausgleichen oder besser überkompensieren können“, so Finkbeiner. In der Kita werden unter anderem die Dächer begrünt. Die Verdunstung von Regenwasser verbessert das Mikroklima und die Biodiversität wird durch den neuen Lebensraum für Tiere auf dem Dach mindestens erhalten.
In Gesprächen mit Bauherr*innen stelle er fest, dass die Nachfrage nach ganzheitlichem Bauen steige, auch weil der gesetzliche und gesellschaftliche Druck zunehme, so Finkbeiner. Das sei auch notwendig: „Wir stehen vor einer riesigen Transformation unserer Erde. Diese Transformation müssen wir managen, sonst werden wir von den Tatsachen überrollt. Es gibt dafür geeignete Ansätze und daher keinen Grund zu sagen: Es wäre sowieso schon zu spät.“
VOM EINZELNEN BAUWERK ZUR ÖKOLOGISCHEN STADT
Ganzheitliche C2C-Projekte beziehen ihre Umgebung ein und können zu kreislauffähigen Quartieren mit neuen Systemen für Ressourcenmanagement wachsen. Im niederländischen C2C-Businesspark Park 2020 etwa werden bei der schrittweisen Bebauung Windströmungen und der Einfall von Sonnenlicht beachtet, um Energieproduktion und Ventilation zu optimieren. Im dänischen Kalundborg tauschen Firmen bei der Produktion anfallende Nebenprodukte aus und sparen durch diese Ressourcenströme jährlich geschätzte 20 Millionen Euro.
In Hamburg entwickelten Kadawittfeld Architektur, die Stadt Hamburg und die Landmarken AG Stück für Stück das Moringa-Wohnhaus nach C2C-Kriterien: Die verwendeten Baustoffe sind materialgesund, kreisläuffähig und rückbaubar. „Es ging uns neben den ökologischen auch um soziale Aspekte“, sagt Kadawittfeld-Partnerin Jasna Moritz. Ein Teil des Gebäudeensembles ist für sozialen Wohnungsbau ausgelegt. So soll Moringa zeigen, ob C2C im Wohnungsbau massentauglich ist. Mit jedem weiteren Wohngebäude lohne es sich für Bauherr*innen finanziell stärker, auf kreislauffähiges Bauen zu setzen, so Moritz.
Die Erfahrung hat auch Edwin Meijerink gemacht, CEO von Delta Development Deutschland, einem der erfahrensten C2C-Immobilienentwickler. Aktuell arbeitet sein Team am C2C-Bürogebäudekomplex Pulse Berlin, für das alle Materialien nach C2C-Kriterien ausgewählt wurden. „Wir versuchen, für die nächste und übernächste Generation zu bauen“, sagt Meijerink. Das Atrium des Pulse Berlin kann modular angepasst werden. Dach und Innenraum sind begrünt. Beides wird mit Regenwasser bewässert, das auch für die Toilettenspülungen verwendet wird. Im Gegensatz zur Anfangszeit gebe es heute deutlich mehr Baustoffe, die den C2C-Kriterien entsprechen, so Meijerink. „Die Preise gehen dadurch schon nach unten und es wird von Projekt zu Projekt günstiger“, stellt er fest.
Darauf setzt auch Straubenhardt bei der geplanten Sanierung des Bildungszentrums Villa Kling. Als Vorbild dafür gilt das C2C LAB in Berlin, der Sitz von Cradle to Cradle NGO. In dem einem Ostberliner Plattenbau sanierte die NGO eine ehemalige Apotheke nach C2C-Kriterien. Zum Beispiel mit Teppichen, deren Gewebe achtmal mehr Feinstaub aufnimmt als andere Böden. Sie können als Fliesen ohne Kleber verlegt werden. Der Hersteller nimmt sie zurück, trennt die Bestandteile und stellt daraus neue Bodenfliesen her.
BESCHAFFUNGSRICHTLINIEN ALS ANREIZ FÜR UNTERNEHMEN
In Straubenhardt erschöpft sich C2C aber nicht auf Gebäude. Derzeit stellt Viehweg die gesamte kommunale Beschaffung um – auf „nachhaltige Produkte, die möglichst Cradle to Cradle entsprechen“. Die öffentlichen Verwaltungen sind mit einem Einkaufsvolumen von 350 Milliarden Euro pro Jahr die größten Auftraggeber des Landes. Werden an die Ausschreibungen C2C-Kriterien angelegt, ist das ein enormer Hebel für Ressourcenschutz.
In Ludwigsburg gibt es solche Beschaffungsrichtlinien bereits. Der Anstoß dazu sei aus der Bürgerschaft und der regionalen Wirtschaft gekommen, erzählt der für nachhaltige Beschaffung zuständige Patrick Scholz. Die einen wollten mehr Nachhaltigkeit, die anderen eine höhere Nachfrage nach ökologisch sinnvollen Produkten. „Die Kombination aus beidem hat dazu geführt, dass die Verwaltungsspitze die nachhaltige Beschaffung eingeführt hat und dass Kreislauffähigkeit darin eine Rolle spielt“, so Scholz.
Ludwigsburg gibt für spezifische Produkte Mindestkriterien wie Kreislauffähigkeit vor – und gibt dennoch nicht mehr Geld aus. „Bei bedruckten Briefbögen haben wir kürzlich eine Druckerei gefunden, die C2C-Farben benutzt, mit dem Blauen Engel zertifiziert ist und günstiger als alle anderen Angebote war“, so Scholz. Und mit jeder Ausschreibung sende die Stadt das Signal, dass sich kreislauffähige Produktion lohne, wenn ein Unternehmen Aufträge der öffentlichen Hand bedienen will.
Für eine Stadtentwicklung nach C2C lassen sich auch Ansätze wie Pay-per-use-Modelle aus dem Kleinen ins Große übertragen. Nicht nur bei der öffentlichen Beschaffung von Elektrogeräten, sondern in Form neuer Mobilitätsdienstleistungen auch bei der Entwicklung von ganzheitlich-ökologischer Infrastruktur.
In Straubenhardt hat der Gemeinderat jüngst Pläne für die herkömmliche Entwicklung einer unbebauten Grünfläche kassiert, erzählt Helge Viehweg. Bei der Infrastruktur stelle sich der Gemeinderat heute andere Fragen als bisher: „Was brauchen die Menschen? Brauchen sie einen Supermarkt oder brauchen sie Lebensmittel, wenn wir auch für die ältere Bevölkerung mitdenken?“, nennt er als Beispiel. Durch neue Mobilitätskonzepte seien auf diese Fragen neue Antworten möglich.
Ein C2C-Projekt, das Viehweg besonders freut, ist der geplante Walderholungspfad inklusive Bewegungsparcours mit modularen C2C-Geräten aus heimischem Holz. Die Idee kam über einen örtlichen Turnverein direkt aus der Bevölkerung. „Durch solche Projekte wird den Bürger*innen klar, dass es sich nicht nur um eine abgehobene Idee des Gemeinderats handelt“, sagt Viehweg. Und: „Diese Dynamik kann unsere Gemeinde verändern und eigentlich kann uns nichts Besseres passieren.“
Dieser Artikel erschien erstmals im Printmagazin NÄHRSTOFF #5