Der Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energiequellen ist eine der zentralen Strategien im Klimaschutz. Doch für den Bau von neuen Stromerzeugungsanlagen braucht es viele Ressourcen. Wie kann eine zukunftsfähige Energieversorgung nach Cradle to Cradle aussehen? Diese und weitere Fragen diskutierten die Panelist*innen bei unserem Event “#4 Energieversorgung der Zukunft”.
Mitten in der Spandauer Altstadt können sich die Bewohner*innen des Berliner Bezirks in der Klimawerkstatt zu allen Themen rund um Klima- und Umweltschutz informieren – und das vierte Event der Reihe “Berlin, du bist so cradlebar.” besuchen. Unsere geschäftsführende Vorständin Nora Sophie Griefahn führte das Publikum bei warmem Apfelpunsch und Snacks durch den Abend mit Impulsbeiträgen von Sebastian Sladek von den Elektrizitätswerken Schönau (EWS), Lisa Wendzich von Suncrafter und Lars Baumgürtel von Zinq. Laura Hüneburg berichtete in der Einführung von der Arbeit der Klimawerkstatt. Insa Kehlenbeck, Klimaschutzmanagerin im Bezirksamt Spandau, erzählte in einem politischen Grußwort von aktuellen und geplanten Klimaschutzmaßnahmen des Bezirks. Bei der Paneldiskussion zum Abschluss der Veranstaltung konnten sich die Zuschauenden mit Fragen und Anregungen einbringen.
Ein soziale Herausforderung
Die EWS wurden ursprünglich als Bürger*inneninitiative nach der Explosion des Atomkraftwerks in Tschernobyl gegründet. Heute ist die EWS eine Genossenschaft und bundesweiter Ökostrom-Versorger. Sebastian Sladek sieht in der Energiewende selbst “keine technische Herausforderung mehr. Die Energiewende nach Cradle to Cradle hinzukriegen, das ist die jetzige Herausforderung.” Es gehe weiterhin auch darum, soziale Hürden, wie beispielsweise die Angst vor steigenden Kosten und der Veränderung des eigenen Lebensstils, zu überwinden, ergänzte der Geschäftsführer der EWS. Helfen können dabei Diskurs und Versöhnungsbereitschaft, aber auch eine Abkehr von der rein finanziellen Rendite hin zu ökologisch-sozialen Werten.
Die Energie der Industrie
Auf industrieller Ebene wird es dennoch technisch. Einige Unternehmen mit großem Energieaufwand müssen sich Strategien für die Energiewende überlegen, so zum Beispiel die Initiative Klimahafen in Gelsenkirchen, zu der auch Zinq gehört. Lars Baumgürtel, geschäftsführender Gesellschafter, sprach beim Event über die industrielle Nutzung von Energie als Prozesswärme. Zinq bietet Feuerverzinkung und Beschichtung von Stahl an, um diesen vor Korrosion zu schützen und langlebiger zu machen. Dabei werden nicht nur viele Ressourcen, sondern auch sehr viel Energie benötigt. Nach Cradle to Cradle sollte diese Energie möglichst aus erneuerbaren Quellen stammen. Zusammen mit anderen Betrieben der Initiative Klimahafen Gelsenkirchen sieht Zinq hier die Möglichkeit, Wasserstoff, der früher in Steinkohlekraftwerken verfeuert wurde, für die Prozesswärme zu nutzen und dadurch etwa 25% der CO₂-Emissionen der teilnehmenden Betriebe einzusparen. Dies sei natürlich nur ein erster Schritt auf dem Weg zur Emissionsfreiheit.
Energie nach Cradle to Cradle
An eine Energiewende, bei der auch die Kreislauffähigkeit von Anfang an mitgedacht wird, müssen wir aus der C2C-Perspektive zwei Anforderungen stellen. Auf der einen Seite müssen wir alte Photovoltaik-Anlagen oder Windkraftwerke, die schon bald am Ende ihrer Nutzungsphase stehen, möglichst im Kreislauf halten. Suncrafter hat eine Möglichkeit gefunden: Das familiengeführte Unternehmen gibt aussortierten Photovoltaik-Modulen ein zweites Leben, etwa wenn sie durch Hagel teilweise beschädigt sind, aber eigentlich noch funktionieren, oder wenn Besitzer*innen Module nach Ablauf der PV-Förderung austauschen.
Die 2nd-Life-Module von Suncrafter, also Module in der zweiten Nutzungsphase, sind um einiges günstiger als ganz neue Anlagen. Das hilft dabei, die Hürde der anfänglichen Investition mit hohen Installationskosten zu überwinden, sodass sich Solarenergie in der Breite weiter durchsetzen kann. Eine eigene Photovoltaik-Anlage macht die Besitzer*innen vom Stromnetz unabhängig und lässt sie Energie von der Sonne beziehen – ganz umsonst.
Neben der Wiederverwertung alter Module müssen alle Anlagen, die heute produziert werden, kreislauffähig sein. Denn wenn wir nicht schon beim Design den gesamten Lebenszyklus betrachten und uns Gedanken über die Wiederverwertung der verbauten Ressourcen machen, werden diese als Sondermüll enden. Drei Unternehmen – Sunpower, Solitek Cells und Solarwatt – zeigen mit ihren Cradle to Cradle-zertifizierten Solarpanelen, dass ein solches Design bereits heute möglich ist.
Der Stand beim Recycling-Markt
Das Recycling von PV-Modulen ist allerdings noch ausbaufähig. In der Paneldiskussion erzählte Lisa Wendzich von Suncrafter, dass sich zwar Glas-Glas- und Glas-Folien-Module recht einfach recyceln lassen. Jedoch gebe es zur Zeit wenig Recycling-Anlagen, die alle Bestandteile der Module hochwertig recyceln. Meistens würden nur die ökonomisch wertvollsten Stoffe wiederverwendet. Außerdem sei der Prozess noch nicht kostengünstig genug, als dass er sich finanziell lohnen würde.
Auf EU-Ebene gebe es zwar Gesetzesvorhaben, die die Recyclingfähigkeit von Produkten regeln sollen, doch auf dem Markt passiere hier zur Zeit wenig. “Ich glaube, dass dieses Problem etwas verschleppt worden ist, da wir bis jetzt nicht wahnsinnige Volumen an Modulen hatten, die recycelt werden müssen”, erklärte Wendzich. Die fehlenden Recycling-Kapazitäten würden zum Ende des Jahrzehnts zum sichtbaren Problem werden, wenn die Förderungen für PV-Anlagen ausliefen.
Es ist laut einer EU-Richtlinie zwar die Pflicht der herstellenden Unternehmen, 80% aller verkauften Solarmodule zu recyclen. Product as a Service-Geschäftsmodelle können dazu beitragen, diesen Anteil zu erreichen und weiter zu erhöhen. So werden PV-Module zur Dienstleistung. Dabei werden Module nicht verkauft, sondern für eine bestimmte Zeit zur Nutzung überlassen. Anschließend erhält das herstellende Unternehmen die Module – und damit alle wertvollen Ressourcen – wieder zurück. Auch Suncrafter bietet einige Module als Leihgabe an. Solarpanels werden zum Beispiel als Handyladestation bei Events verwendet und nach ein paar Tagen Nutzung wieder an Suncrafter zurückgegeben. Die Verantwortung für das Produkt, die Materialien und den Recyclingprozess verbleiben so komplett beim herstellenden Unternehmen.
Subventionen für Cradle to Cradle
Wie bringen wir also die Unternehmen dazu, sich an diesen Möglichkeiten zu orientieren und eine Energiewende nach Cradle to Cradle zu gestalten? Subventionen oder Sanktionen? Diese Frage stellte beim Event das Publikum. Sladek sprach sich dafür aus, auf Subventionen zu setzen. Sanktionen für nicht C2C-konforme Erzeugungsanlagen könnten dazu führen, dass Unternehmen in Märkte mit geringeren Qualitätsvorgaben abwandern. Sladeks Wunsch: “Ich zähle darauf, dass wir eine europäische PV-Industrie aufbauen.”
Eines der Instrumente für die Energiewende ist der Handel mit Emissionen, den Baumgürtel während der Diskussion ansprach. Aktuell beziehe sich der Emissionshandel nur auf die Herstellung. Dadurch lohne es sich immer noch, möglichst viel zu produzieren und dadurch mehr Gewinn zu machen. Stattdessen sollten die Kosten des Recyclings bei den Herstellern liegen. “Das kann ich machen, indem […] ich die Verschmutzungsrechte über den Lebenszyklus eines Produktes handelbar mache”, erläuterte Baumgürtel. So wäre es wieder ökonomisch sinnvoll, hochwertige und wiederverwendbare Produkte zu produzieren.
Nächstes Jahr Nochmall
2024 geht die Eventreihe weiter, und zwar in Reinickendorf in der Nochmall. Hier möchten wir unter dem Motto “#5 Die Fäden in der Hand behalten” zur Textilindustrie ins Gespräch kommen und darüber diskutieren, wie wir Stoffe und Kleider nach Cradle to Cradle herstellen können. Das fünfte Event findet am 19. Januar statt. Du kannst dich hier dafür anmelden.