Lasst uns anfangen, das Richtige zu tun – Change-Maker der C2C-Community diskutieren auf dem vierten C2C Congress in Lüneburg eine C2C-Zukunft
Der Cradle to Cradle (C2C) Congress bietet seinen Teilnehmenden vor allem eines: eine ideale Vernetzungsplattform, um gemeinsam den Weg in eine zukunftsfähige Welt zu formulieren. Am 20. und 21. Oktober fand zum vierten Mal der weltweit größte C2C Congress im neuen Libeskind-Zentralgebäude an der Leuphana Universität in Lüneburg statt. Mehr als 800 internationale und deutsche Teilnehmende diskutierten an beiden Tagen über eine Welt, in der Abfall Nährstoff ist. Dieses Jahr lockte der Congress mit dem thematischen Special Track „C2C in Bau & Architektur“. Viele Entscheider*innen und Interessierte aus der Bauwirtschaft kamen dafür nach Lüneburg. Akteur*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft berichteten aus der C2C Praxis und erläuterten Herausforderungen und innovative Lösungen aus den unterschiedlichsten Bereichen wie Bauen, Kunststoffe, Landwirtschaft, Fashion oder Druck – Darunter auch Sprecher*innen aus den USA und den Niederlanden. Der Congress stand unter der Schirmherrschaft der Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks und des Präsidenten der Leuphana Universität Lüneburg, Prof. Dr. Sascha Spoun.
Der Congress startete am Freitagabend (20.10.) mit einem öffentlichen Vortrag von Prinz Carlos de Bourbon de Parme, bei dem er betonte, dass eine Kreislaufwirtschaft der erste Schritte auf dem Weg zu einer C2C-Zukunft ist – C2C möchte also mehr als nur Kreisläufe. Dr. Monika Griefahn Vorsitzende des C2C e.V.s und Ministerin a.D., wies darauf hin, dass C2C auch ein kulturelles Konzept ist und dass wir umdenken müssen, um neue Perspektiven zu finden, aus denen wir die Herausforderungen unserer Zeit angehen können. So wies Ulrich Mädge, Oberbürgermeister der Hansestadt Lüneburg, in seinem Grußwort darauf hin, dass auch in Lüneburg ein C2C-Gebäude entsteht. Auch in der Politik verankert sich der Gedanke, dass es darum geht, jetzt Weichen für eine andere, bessere und lebenswerte Zukunft zu stellen – im Grunde für das Überleben unseres Planeten, so Birgit Honé, Staatssekretärin für Europa und regionale Landesentwicklung, Niedersächsische Staatskanzlei. Monika Thomas, Abteilungsleiterin im Bundesumweltministerium, hob hervor, dass wir unsere planetaren Grenzen erreichen und das wirtschaftlich, ökologisch und sozial nicht vertretbar sei. Prof. Dr. Henrik von Wehrden, Dekan für Nachhaltigkeit an der Leuphana Universität Lüneburg, kritisierte, dass es viele Institutionen gibt, die uns erklären, dass die Welt untergeht. Er betonte jedoch, dass wir positiv in die Zukunft schauen müssen. Wir müssen innovative Lösungen entwickeln, die C2C bereits in vielen Bereichen bietet.
Bauen geht uns alle an
Der Special Track Bau & Architektur zog dieses Jahr viele Congress-Teilnehmende aus der Baubranche auf den Congress. Dies zeigte sich bereits im ersten Panel mit dem Titel „Bauen & Architektur“. Hier diskutierten Andreas Engelhardt, CEO der Schüco International KG, Dr. Christine Lemaitre, CEO der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB e.V.), Dr. Peter Mösle, Geschäftsführer und Partner bei Drees & Sommer, Dr. Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA), mit starkem Praxisbezug zum Status Quo auf dem Immobilienmarkt und in der Politik. Im Laufe der Diskussion wurden konkrete Forderungen an die Politik und an die eigene Branche formuliert: Ausschreibungsentscheidungen müssten so gefällt werden, dass nicht immer das günstigste Angebot den Zuschlag erhält. Auch ein umfassendes Monitoring von Immobilien sei wichtiger Baustein für Veränderung. Energieverbräuche seien in der Bauphase immer Schätzungen und würden später, beim tatsächlichen Wohnen nicht mehr abgefragt. An dieser Stelle ist ein Monitoring sinnvoll, um sich weiterzuentwickeln. Auch sollte energetische Sanierung abschreibungsrelevant sein. C2C muss ferner endlich eine Rolle in KfW-Programmen spielen.
In seinem Impuls stellte Engelhardt heraus, dass das Leben für Mensch und Umwelt dadurch geprägt wird, dass es Vorbilder gibt. Die Bauwirtschaft kann eines dieser Vorbilder sein, denn sie hat großen Einfluss auf viele der heutigen Megatrends wie Urbanisierung, Neo-Ökologie oder Gesundheit. So betonte Engelhardt, dass die Bauwirtschaft Verantwortung trägt und eine Vorbildfunktion übernehmen muss, damit unsere Lebensgrundlage auf der Erde nicht zerstört wird. Jedes Unternehmen, das ignoriert, dass Rohstoffe endlich sind, wird in wenigen Jahren nicht mehr existieren. „Alle Unternehmen, die das ignorieren haben keine Zukunftsfähigkeit“, so Engelhardt.
Michel Weijers, Geschäftsführer des C2C Expolab & Projektmanager der C2C inspirierten City Hall Venlo, berichtete mit Begeisterung von der City Hall in Venlo, die 2016 fertiggestellt wurde und C2C zu großen Teilen umsetzt: begrünte Wände innen und außen, Bäume in den Treppenhäusern und begrünte Dächer säubern zusammen die Luft, dämmen das Gebäude und bieten Lebensraum für Flora und Fauna. Tageslicht in den Fluren sorgt für eine angenehme Umgebung ohne Kunstlicht. Hinzu kommen Aspekte wie die Nutzung erneuerbarer Energien – und eine Energieproduktion möglichst über den eigenen Bedarf hinaus sowie Schreibtischstühle, die sich wieder auseinanderbauen lassen, Rücknahme-Systeme für Teppiche, Möbel und Baumaterialien. Am Ende der Nutzungsdauer stehen die Rohstoffe für neue Gebäude und Produkte zur Verfügung. Nun ist es in Betrieb und Weijers ist gespannt auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleituntersuchungen in rund zwei Jahren. Denn Die Hypothese der Bauherren war, dass die Mitarbeiter*innen in einem solchen Gebäude weniger krank sind und produktiver arbeiten können.
Macht und Verantwortung müssen zusammengeführt werden
Thomas Rau, Architekt und Visionär, kritisierte, dass immer nur besprochen wird, was möglich ist, aber nicht abgesprochen wird, was nötig ist! Er betonte, dass wir nicht am „Climate Change“ arbeiten müssen, sondern am „Mind Change“. Wir müssen unsere Haltung gegenüber all dem, was unser Leben erst ermöglicht, ändern. Für all das, was natürlich limitiert ist, müssen wir Wege finden, diese unendlich zur Verfügung zu stellen. Alles ist letztendlich zeitlich, aber die Konsequenzen von Zeitlichkeit sind permanent. Wir müssen demnach den Grundgedanken des Wirtschaftssystems verändern – wir müssen unsere Geschäftsmodelle ändern. Dazu gehört, dass wir Macht und Verantwortung zusammenführen. Dann ist auch der*die Produzent*in dafür verantwortlich, wieviel Sondermüll entworfen wird und ob es ein Depot gibt, aus dem alle verbrauchten Rohstoffe erneut gewonnen werden können.
So schilderte auch Ken Webster von der Ellen MacArthur Foundation in seinem Impulsvortrag, dass Ressourcenprobleme gelöst werden müssen – der Schlüssel dazu sei C2C. Er verwies darauf, dass die Transformation bereits im Gange ist. In der Wirtschaft ist ein Wechsel zu sehen, in der C2C der Schlüssel bezüglich der Frage ist, wie wir in Zukunft produzieren.
Erwin Thoma, CEO Thoma Holz, betonte, dass wir nicht nur 10 oder 20 Jahre in die Zukunft planen, sondern viel längere Zeiträume ins Auge fassen müssen. Zudem können wir es uns nicht leisten unsere Häuser mit Sondermüll zu bauen. Seit Jahrzehnten hat sich Thomaholz u. a. auf den Hausbau ausschließlich mit Holz spezialisiert. C2C heißt, dass alles sauber stofflich trennbar ist und dass nichts so vermischt wird, dass es als Sondermüll verbrannt werden muss. Thoma hat bewiesen, dass Innovation und Hausbau zusammenpassen: „Wir haben den wissenschaftlichen Nachweis gebracht, dass wenn wir die Wirtschaft von der Wegwerfwirtschaft hin zur wirklichen C2C-Wirtschaft denken, wir jede Menge technische Vorteile haben, wir gesünder und zukunftsfähiger unterwegs sind und wir mehr Arbeitsplätze schaffen.“
Wie motivieren wir Unternehmen und den einzelnen Menschen
Lewis Perkins, President des Cradle to Cradle Produtcs Innovation Institutes (PII), berichtet aus der Praxis des PII, einem wichtigen Akteur in der C2C Community. Ziel sei es neben der reinen Zertifizierungsarbeit des Instituts, die Marke C2C zu etablieren und zu positionieren. Die Initiative „fashion positive“ in der Textilindustrie soll diese Entwicklung unterstützen. Perkins zeigt sich überzeugt, dass mehr C2C in der Textilbranche dringend nötig ist, denn die Produkte dort müssten sicherer und gesünder werden. Eine zweite Initiative des PII – „built positive“ – versucht, das Konzept „Gebäude als Materiallager“ in die Bauwirtschaft zu tragen und für die gesamte Gesellschaft greifbar zu machen. In diesem Bereich benötige man große Datenmengen. Damit spielt auch die Digitalisierung für C2C eine besonders große Rolle.
In ihrem Impuls zum Thema „Design for System Change“ machte Dr. Leyla Acaroglu, Designerin, Soziologin, Nachhaltigkeitsstrategin und Unternehmerin, eines deutlich: Ihre Leidenschaft ist Design, weil „es extrem machtvoll ist“. Die Frage, die sie motiviert, ist, wie wir unsere Fähigkeiten nutzen können, um die Welt zu verändern und eine Zukunft zu gestalten, die funktioniert. Ihre Antwort besteht darin, den Menschen Design-Werkzeuge zu geben. Das Problem, welches sie am meisten beschäftigt, ist, dass Abfall in die Designsysteme des Menschen aufgenommen wird und sich gesellschaftlich normalisiert hat. Acaroglu meint, wenn „Design die Probleme verursacht hat, sollte Design Teil der Lösung sein“. Dabei ist es sehr wichtig, den ganzheitlichen Ansatz des Systemdenkens zu nutzen, damit unsere heutigen Lösungen nicht die Probleme von Morgen werden. Die von ihr entwickelte Methode, Probleme anzunehmen und ganzheitlich zu lösen, nennt sich „Disruptive Design Method“. Acaroglu schloss ihren energetischen Impuls mit der hoffnungsvollen Botschaft: „Wir alle haben die Möglichkeiten, Veränderungen herbeizuführen!“.
C2C-Visionär*innen in der Praxis
Die Akteur*innen des Panels „C2C in Business: best practice“ zeigten, dass sie nicht mit den gegenwärtigen Produktionsweisen und -zyklen einverstanden sind. Stattdessen entwickeln sie Gegenentwürfe, fangen noch einmal von vorne an und denken Dinge neu. Anne-Christine Ayed, stellv. Vorsitzende Research, Innovation & Environment Tarkett GDL SA, Lars Baumgürtel, Geschäftsführender Gesellschafter Voigt & Schweitzer GmbH & Co. KG sowie Garance Wilbert, Abteilung Sustainable Design & Development Steelcase AG, zeigten, was ihre Unternehmen bereits umsetzen, auf welche Herausforderungen sie bei der Umstellung auf C2C stoßen und welche Vorteile C2C-Innovationen in Produktion, Qualität und Wettbewerb bieten.
Kunststoffe für biologische und technische Kreisläufe
Mit der Frage, „Wie gestalten wir Kunststoffe für die Zukunft, die für die Bio- und/oder Technosphäre geeignet sind?“ eröffnete Katja Hansen, Senior Consultant EPEA, das Panel zum Thema „Plastics: Opportunities through C2C Innovation“. Timothy Glaz, Werner & Mertz GmbH, Merijn Everaarts, CEO von Dopper, Acaroglu und Stefanie Werner aus der Abteilung für Meeresschutz des Umweltbundesamtes diskutierten über den Satus Quo der Plastikwirtschaft und die notwendige Transformation zu geschlossenen C2C-Kunststoff-Kreisläufen.
Werner, die auf das Ausmaß der Bedrohung von Meereslebewesen durch Plastikmüll aufmerksam machte, forderte „[…], die Strukturen zu zerstören und von vorn anzufangen“, um Lösungen für die Kunststoffwirtschaft zu finden. Sowohl Everaarts, als auch Glaz haben ihre Lösung gefunden: Sie stellen erfolgreiche C2C-Produkte her. Glaz sprach über das Beispiel der C2C-Frosch-Reinigungsprodukte, die sein Unternehmen produziert: „Wir produzieren nach C2C, weil wir es für das umfassendste Label halten“. Das Publikum diskutierte rege, unter anderem zum Thema „Wer ist verantwortlich für Innovation: Konsument*innen, Unternehmen oder Politik?“ Katja Hansen fasste zusammen, dass wir uns zwar mit innovativen Lösungen beschäftigen müssen, aber auch mit den aktuellen Problemen unserer Kunststoffe auseinandersetzen sollten und Übergangslösungen finden können, wie sie durch C2C-Frosch-Produkte oder Dopper-Flaschen repräsentiert werden. Letztendlich müssen wir aber das gesamte System, wie von Acaroglu vorgeschlagen, überdenken.
Neben den Panels und den Impulsvorträgen hatten die Congress-Teilnehmenden die Möglichkeit, in interaktiven Foren in weitere Themen einzusteigen. Es wurde über vielfältige Inhalte diskutiert: die Nutzung erneuerbarer Energie, ein funkionierendes C2C Change Management, eine zukunftsfähige Landwirtschaft, Gesunder Druck, Fashion und vieles mehr.
Brennende Geduld
Das Abschlussgespräch des C2CC17 führten Prof. Dr. Michael Braungart, C2C-Vordenker und Professor für Ecodesign an der Leuphana Universität in Lüneburg, und Dr. Michael Schmidt-Salomon, Philosoph, Schriftsteller, Mitbegründer & Vorstandssprecher Giordano-Bruno-Stiftung, zu den ausgetretenen kognitiven Pfade unserer herkömmlichen Umweltschutzdiskussion und warum es uns Menschen so schwer fällt, eben diese zu verlassen, um neue Wege zu gehen. Braungart zeigte sich alles in allem zufrieden mit dem Stand der C2C-Transformation: „Wirkliche Änderungen brauchen Zeit. So gesehen ist C2C mit 30 Jahren Entwicklung und Diskussion gut im Zeitplan.“ Dennoch sprach er auch warnende Worte: „[…] heute entwickeln wir die falschen Sachen so schnell, dass wir jetzt handeln müssen.“ Er machte deutlich, dass wir noch immer in den falschen Kategorien denken. Wer beispielsweise klima-neutral sein wolle, der müsse aufhören zu existieren, und auch die Maxime der „Effizienz“ sei angesichts des Überflusses, mit der die Natur prinzipiell aufwartet, fehlgeleitet: Es geht um „Effektivität“! Bis wir es schaffen, diese hartnäckigen Glaubensmuster aufzubrechen, rät Schmidt-Salomon zu „[…] brennende[r] Geduld, das heißt, nicht zu verzagen, wenn die Dinge stocken.“ Für ihn ist C2C faszinierend, weil es Ökologie und Humanismus verbindet, und er ist sich sicher, dass es sich langfristig durchsetzt: „Die Menschen in 100 Jahren werden klüger sein. Die werden das gar nicht begreifen, dass wir jemals mal was ohne C2C produziert haben.“
Ein großer Dank ging auch noch einmal an alle ehrenamtlichen Helfenden, durch die Geschäftsführenden Vorständ*innen Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen.
Beim gemeinsamen Abendessen konnten die neu gewonnenen Kontakte vertieft und die Eindrücke des Tages ausgetauscht werden. Die positive Stimmung und die Motivation etwas zu bewegen war bei Teilnehmenden, Helfer*innen und Akteur*innen gleichermaßen zu spüren.
Einen unterhaltsamen und musikalischen Ausklang lieferte Aerodice bei einem Konzert für den positiven Fußabdruck.
Save the Date: 13.-15. September – C2C Congress 2018