Die öffentliche Beschaffung ist ein enormer wirtschaftlicher Hebel. Bund, Länder, Städte und Gemeinden kaufen jährlich für bis zu 500 Milliarden Euro ein. Rund die Hälfte dieses Volumens entfallen auf die kommunale Ebene. Höchste Zeit also, diesen Hebel für eine zirkuläre Transformation nach Cradle to Cradle zu nutzen. Wie das gelingen kann, haben wir beim “C2C Fachforum: Beschaffung – Umdenken für einen zukunftsfähigen kommunalen Einkauf” am 10.11.2022 diskutiert. Knapp hundert Zuschauende verfolgten die Diskussion im Livestream, bei der unter anderem unser Leitfaden für eine Beschaffung nach Cradle to Cradle vorgestellt wurde.
Kommunen als Vorreiter
“Kommunen haben eine Vorbildfunktion,” machte auch Isabel Gomez, Mitglied unserer Geschäftsleitung, zu Beginn des Fachforums deutlich. Bei der Veranstaltung kamen diejenigen Kommunen zu Wort, die sich dieser Vorbildfunktion bewusst sind und sich bereits auf den Weg gemacht haben, C2C in ihre Planungen mit einzubeziehen.
So zum Beispiel die Landkreise Lüchow-Dannenberg und Lüneburg, die gemeinsam die C2C-Modellregion Nordost-Niedersachsen bilden. Die Region entwickelt zur Zeit einen Masterplan bis 2035, um Cradle to Cradle bei sich im ländlichen Raum umzusetzen. Dr. Svenja Damberg, Senior Research Fellow an der TU Hamburg und Projektbeteiligte, betonte beim Fachforum, wie wichtig es sei, auch die Bevölkerung bei solchen Projekten mitzunehmen. “C2C-Potenziale gibt es an jeder Ecke. Unsere Aufgabe ist es, Verständnis für Cradle to Cradle zu wecken, um in das C2C-Denken zu kommen”, so Damberg.
C2C-Beschaffung in der Praxis
Wie kommunale Beschaffung nach Cradle to Cradle ganz konkret in der Praxis aussehen kann, zeigt Ludwigsburg bereits seit mehreren Jahren. 2018 trat in der Stadt eine bindende Dienstanweisung zur nachhaltigen Beschaffung in Kraft, die sich explizit an Cradle to Cradle ausrichtet. Darin ist beispielsweise festgehalten, dass C2C zu mindestens 20 % in die Angebotsbewertung einfließen muss. Außerdem werden Kriterien wie Materialgesundheit und Kreislauffähigkeit als Zuschlagskriterien definiert.
Lars Keller, Teamleiter der zentralen Vergabe- und Beschaffungstelle der Stadt Ludwigsburg, berichtete beim C2C Fachforum aus der Praxis. Von C2C-Stiften und Reinigungsmitteln, über Schulmöbel bis hin zu Repräsentationsgeschenken: Die Stadt versucht bei jedem öffentlichen Einkauf C2C einfließen zu lassen, um so die Dienstanweisung in die Praxis umzusetzen. Eine Voraussetzung dafür, dass das auch gelingt, ist, dass alle an einem Strang ziehen. “Bei der Stadt Ludwigsburg wird das Thema C2C sehr gelebt. Wir haben viele Fürsprecher*innen und stoßen hier auf viel Verständnis”, hob Keller die gute Zusammenarbeit in Ludwigsburg hervor.
Überblick im Beschaffungs-Dschungel
Um noch mehr Kommunen davon zu überzeugen, mit Ludwigsburg gleichzuziehen und nach C2C zu beschaffen, haben wir als NGO einen Leitfaden zur kommunalen Beschaffung nach Cradle to Cradle verfasst. Ziel des digitalen Dokuments ist es, Denkanstöße und Hilfestellungen für Kommunen zu geben, die sich näher mit dem Thema Beschaffung nach Cradle to Cradle befassen möchten. Darin enthalten sind unter anderem konkrete Anknüpfungspunkte für C2C-Kriterien im Beschaffungsprozess, rechtliche Hinweise sowie viele Tipps und Beispiele aus der Praxis.
Lorena Zangl (Moderation, Konzeption & Beratung bei ressourcenwunder sowie Hauptautorin des Leitfadens in ihrer früheren Rolle als Referentin für kommunale Entwicklung bei C2C NGO) hob beim Fachforum den Leitfaden als guten Startpunkt für Kommunen hervor, die erste Schritte in Richtung einer Beschaffung nach Cradle to Cradle machen wollen. Sie empfahl Kommunen, mit kleinen Schritten anzufangen und eine zirkuläre Beschaffung idealerweise auch strategisch zu verankern, zum Beispiel in einer Dienstanweisung.
Herausforderungen und Hindernisse
Doch bei der Umsetzung einer kommunalen Beschaffung nach C2C stoßen Kommunen auch an ihre Grenzen. Herausforderungen sind oft mangelndes Wissen und fehlende (personelle) Kapazitäten, da viele Verwaltungsmitarbeitende keine Zeit haben, sich inhaltlich mit dem Thema zu beschäftigen. Hier müssen Kommunen Unterstützung leisten und Raum und Kapazitäten schaffen.
Ein oft genanntes Argument gegen eine sozial-ökologische, zirkuläre Beschaffung ist der Preis. C2C-Produkte oder zirkuläre Alternativen seien teurer als herkömmliche Produkte und da Kommunen zum wirtschaftlichen Handeln verpflichtet seien, bliebe gar keine andere Wahl, als das billigste Produkt zu beschaffen. Doch wirtschaftlich heißt nicht unbedingt billig, betonte André Siedenberg, Rechtsanwalt und Experte für kommunale Beschaffung bei der Kommunal Agentur NRW, der ebenfalls beim Fachforum zugeschaltet war. Wenn man nicht nur den reinen Anschaffungspreis, sondern den gesamten Lebenszyklus eines Produkts, von der Anschaffung über die Nutzung bis zur Entsorgung, betrachtet, seien zirkuläre Produkte oft sogar günstiger als herkömmliche Produkte. Einer Beschaffung nach C2C-Kriterien stehe also auch vergaberechtlich nichts im Wege.
Eine weitere Unsicherheit entsteht oft bei der Frage, ob eine Beschaffung nach C2C den Markt einschränken würde. Auch hier konnte André Siedenberg beruhigen. Es sei bei einer öffentlichen Ausschreibung wichtig, dass es genug Wettbewerb gibt. Kommunen sollten dazu dokumentieren, dass ihre (C2C-)Anforderungen nicht ausschließlich von einem Bietenden erfüllt werden können. Zertifikate und Siegel wie die C2C-Zertifizierung helfen dabei, denn schließlich steht die Zertifizierung grundsätzlich allen Bietenden offen. Wenn Kommunen C2C-Kriterien bei ihrer Beschaffung anlegen, schränkt das also in keiner Weise den Markt ein, so Siedenberg.
Auf geht’s, Kommunen!
Mit unserem Leitfaden und unserem Netzwerk C2C Regionen wollen wir kommunalen Akteur*innen Hilfestellungen und Vernetzungsmöglichkeiten geben. Denn wir brauchen Kommunen dringend, um eine Kreislaufwirtschaft nach Cradle to Cradle zu erreichen. Bereits heute lebt mehr als die Hälfte der Menschheit in urbanen Räumen, bis 2100 werden es schätzungsweise 85 % sein. Städte und Gemeinden sind ein Schlüssel, um unsere Gesellschaft zu transformieren, (urbane) Kreisläufe zu schließen und eine gute und lebenswerte Zukunft für uns Menschen zu gestalten. Liebe Kommunen, worauf wartet ihr also noch?