Text: Birgit Goldbecker & Anna-Karina Reibold
Was bedeutet eigentlich soziale Gerechtigkeit im Kontext von Cradle to Cradle? Genau darum ging es bei unserem digitalen Event, „C2C Spotlight: Soziale Aspekte“ am 4. Juni. Speziell für die Mitglieder unseres Netzwerks C2C Regionen konzipiert, tauchten wir in die sozialen Dimensionen von Cradle to Cradle ein. Dabei beleuchteten wir die entscheidende Rolle, die C2C bei der kommunalen Beschaffung spielen kann, und stellten ein beeindruckendes Beispiel vor: das C2C Seniorenhaus in La Chapelle-Thouarault, Frankreich. Einmal mehr wurde deutlich, wie Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialthemen untrennbar miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen.
Die globale soziale Linse: Ein Muss für C2C-Beschaffung
Ein zentrales Thema der Veranstaltung war die Notwendigkeit, bei „sozialen Aspekten“ stets die globale Perspektive zu betrachten. Ajit Thamburaj von Ressourcenwunder machte eindringlich klar, wie Umweltzerstörung im Globalen Süden zu menschenunwürdigen Lebensverhältnissen führt. Er zeigte, wie Luft- und Wasserverschmutzung sowie extreme Wetterereignisse dort die Lebensgrundlagen der Menschen bedrohen. Als Lösungsansatz wurde die Donut-Ökonomie von Kate Raworth vorgestellt – ein Rahmen, der sowohl die planetaren Grenzen als auch die sozialen Grundlagen für ein sicheres und gerechtes Miteinander berücksichtigt.
Hier setzt C2C an: Durch die Schließung von Materialkreisläufen und die effektive Nutzung von Rohstoffen können wir die negativen Umweltauswirkungen beseitigen. Der Einsatz kreislauffähiger Rohstoffe und ein Produktdesign, das sortenreines Trennen und Recycling ermöglicht, sind dabei entscheidend. Das Ergebnis? Wir fördern soziale Gerechtigkeit und gleichzeitig unsere Lebensgrundlagen.
Beim Input wurden auch kritische Fragen nicht gescheut: Ein Aspekt ist die mögliche Auswirkung lokaler Kreislaufwirtschaft auf den informellen Sektor im Globalen Süden. In Ländern wie Indien verdienen viele Menschen, sogenannte „Waste-Picker“, ihren Lebensunterhalt durch das Sammeln und Weiterverarbeiten von Abfall. Das Schließen von Materialkreisläufen hierzulande könnte dazu führen, dass weniger Abfallmaterial in diese Regionen gelangt, was wiederum den „Waste-Pickern“ die Einkommensgrundlage entzieht. Thamburaj betont aber, dass das nicht bedeutet, dass wir keine Kreisläufe schließen sollten. Stattdessen müssen wir überlegen, wie wir diese Herausforderungen parallel angehen können.
Arbeitsbedingungen in Lieferketten: Eine dringende Herausforderung
Ein weiteres Problemfeld sind die oft prekären Arbeitsbedingungen in den Lieferketten. Beispiele aus der Textilindustrie in Bangladesch, dem Natursteinabbau in Indien und der IT-Produktion zeigen die gravierenden Missstände auf – von unbezahlten Überstunden und fehlenden existenzsichernden Löhnen bis hin zu Kinder- und Zwangsarbeit sowie unzureichendem Arbeitsschutz.
Die Integration von C2C in die kommunale Beschaffung ist ein wichtiger Hebel, um diesen globalen Problemen entgegenzuwirken. Indem Kommunen Produkte und Dienstleistungen nach C2C-Kriterien auswählen, fördern sie nicht nur umweltfreundliche und kreislauffähige Lösungen, sondern schaffen auch einen Anreiz für Unternehmen, ihre gesamten Lieferketten zu überprüfen. Das bedeutet, dass von der Rohstoffgewinnung bis zur Produktion faire und sichere Arbeitsbedingungen gefördert werden, Kinder- und Zwangsarbeit ausgeschlossen wird und existenzsichernde Löhne zur Norm werden. Kommunen können somit durch ihre Kaufkraft einen direkten Einfluss auf globale Arbeitsstandards nehmen und einen wichtigen Beitrag zu einer gerechteren und nach C2C kreislauffähigen Wirtschaft leisten.
C2C in der Praxis: La Maison Senior
Anne Rouault und Pauline Maudet von Neotoa gaben spannende Einblicke in ein Vorzeigeprojekt in La Chapelle-Thouarault, das die sozialen Aspekte von C2C sowohl in der in Baupraxis als auch im gemeinschaftlichen Zusammenleben umsetzt. C2C-Gebäude sind nicht nur Materialbanken für Ressourcen, sondern schaffen auch Mehrwert für die Bewohner*innen, indem sie soziale Interaktion und Wohlbefinden in den Mittelpunkt rücken.
Der C2C-inspirierte Bauansatz legte großen Wert auf den CO2-Fußabdruck, die Schadstofffreiheit der Materialien, den Grad der Zirkularität sowie den Restwert der Baustoffe. Ziel ist es mindestens 50 % der Produkte und Materialien wiederzuverwenden. Das Gebäude wurde als „Nachbarschaftsprojekt“ konzipiert, um den Wohnkomfort zu verbessern, das Miteinander zwischen verschiedenen Generationen zu stärken und soziale Beziehungen zu fördern.
Der Gemeinschaftsraum als Erweiterung des eigenen Zuhauses und die Stärkung des Zusammenhalts unter den Bewohner*innen waren dabei zentrale Erfolgsfaktoren. Ein kollaborativer Ansatz mit öffentlichen Treffen und der Einbindung von Anwohner*innen, lokalen Verbänden und Fachleuten war entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung.
Das Projekt in La Chapelle-Thouarault liefert wertvolle Erkenntnisse für zukünftige C2C-Vorhaben. Es zeigt zum einen, wie wichtig es ist, die Besonderheiten dieses Gebäudes in Frankreich bekannt zu machen. Zum anderen wird deutlich, wie wichtig eine starke lokale politische und finanzielle Unterstützung ist.
Fazit: Ganzheitlichkeit ist der Schlüssel
Das Event hat gezeigt: C2C geht weit über Kreislaufwirtschaft oder reines Produktdesign hinaus. Es ist eine umfassende Gesellschafts- und Wirtschaftsstrategie, die soziale Gerechtigkeit und faire Arbeitsbedingungen mit einbezieht. Für die Beschaffung bedeutet dies, wo immer möglich, auf C2C zu setzen – sei es bei Reinigungsmitteln, Büromaterial, im Bauwesen oder bei der Vergabe von Dienstleistungen. Sollte die direkte Verfügbarkeit von C2C-Produkten noch begrenzt sein, können Proxikriterien genutzt werden, die einzelne oder mehrere Kernaspekte von C2C abbilden und somit einen Schritt in die richtige Richtung darstellen.
Es ist wichtig, dass kommunale Strategien soziale Themen und faire Arbeitsbedingungen weltweit berücksichtigen. Mit der Einbindung von C2C gelingt es, die kommunale Beschaffung wirklich nachhaltig, kreislauffähig und gerecht zu gestalten. Beim „C2C Spotlight: Soziale Aspekte“ wurde deutlich, wie wichtig es ist, für eine Welt einzutreten, in der alle faire Chancen haben und Menschen darin unterstützt werden, die Welt gerecht zu verändern.







