Text: Anna-Karina Reibold & Birgit Goldbecker
Fünf Tage voller spannender Eindrücke, Diskussionen und Austausch: Cradle to Cradle NGO war offizieller Nachhaltigkeitspartner der IFA in Berlin, der Messe für Consumer und Home Electronics. Mit einem Stand, einem vielseitigen Bühnenprogramm und unserer Juryarbeit bei den IFA Innovation Awards in der Kategorie Sustainability haben wir Cradle to Cradle in die Consumer Electronics Branche getragen. Außerdem präsentierten wir unser Positionspapier zu Consumer Electronics und Cradle to Cradle.
Ziel der Partnerschaft war es, Cradle to Cradle in der gesamten Branche zu verankern – dort, wo es bislang noch fehlt. Allein in Deutschland fallen jährlich rund 900.000 Tonnen Elektroschrott an. Angesichts schwindender Ressourcen und steigender Nachfrage muss sich die Consumer Electronics Branche neu ausrichten. Materialien in linear produzierten Geräten sind bislang meist dauerhaft miteinander verbunden, teilweise gesundheitsschädlich, schwer rückverfolgbar und nur begrenzt wiederverwertbar. Transparenz in globalen Lieferketten und einheitliche soziale und ökologische Standards sind nicht überall gegeben. Dadurch gehen wertvolle Rohstoffe wie Gold, Kobalt oder Palladium verloren. Auch geopolitische Abhängigkeiten verstärken sich.
Im Mittelpunkt stand die Frage, wie elektronische Geräte nach Cradle to Cradle so gestaltet werden können, dass sie keinen Müll erzeugen, sondern einen positiven Fußabdruck hinterlassen. Anlässlich der Partnerschaft haben wir mit Unternehmen, Verbänden und Akteur*innen gesprochen. Wir wollten zeigen, was heute schon möglich ist und wie der Wandel gelingt.
Unser Bühnenprogramm drehte sich daher um kreislauffähiges Design nach C2C. An unserem Messestand wurden in mehreren Vorträgen und Workshops die Grundlagen, die praktische Umsetzung sowie die Zertifizierung durch das Products Innovation Institute vorgestellt. Welche Rolle die öffentliche Beschaffung dabei spielt, zeigte die AG Zirkuläre Beschaffung der NKWS. Mit einem interaktiven Weltspiel machte Engagement Global das Thema Rohstoffgerechtigkeit greifbar, während Samuel Dansette von AfB social and green IT die Chancen inklusiven IT-Refurbishments vorstellte. Sebastian Daus von FixFirst erläuterte, wie Künstliche Intelligenz und smarte Services Reparaturen erleichtern und zugleich Marken stärken können. Einen Blick in die Kreislaufstadt der Zukunft warf Oliver Peters vom Deutschen Institut für Urbanistik. Noah Bilski vom Bundesumweltministerium erklärte, wie das BMU zirkulären Konsum vorantreibt.
Cradle to Cradle als Lösung
Auf den Hauptbühnen der IFA diskutierten Expert*innen in acht Programmpunkten, wie Elektronik so gestaltet werden kann, dass Materialien in kontinuierlichen Kreisläufen bleiben. Zugleich wurde deutlich, wie dieser Ansatz bereits heute in der Praxis funktioniert. Mit dabei waren Prof. Dr. Michael Braungart, Christian Eckert vom ZVEI, Andreas Enslin von Miele, Maria Mack von Liebherr, Peter Muth von Green Ocean, Dr. Alexandra Schmied von der Bertelsmann Stiftung, Bastian Urban von der WIK Group und Carsten Waldeck von Shift.
Cradle to Cradle eröffnet entscheidende Chancen, die Branche als Motor wirtschaftlichen Wachstums zu stärken und das Innovationspotenzial von morgen auszuschöpfen – das wurde in den verschiedenen Beiträgen hervorgehoben.
„Es geht darum, nicht nur ein bisschen weniger schlecht zu handeln, sondern mit jedem Produkt ein Stück besser”, sagte Cradle to Cradle NGO Geschäftsführende Vorständin Nora Sophie Griefahn. C2C-Geräte werden von Anfang an als Rohstofflager für ein definiertes Nutzungsszenario konzipiert. Alle eingesetzten Materialien sind in diesem Szenario gesund für Mensch und Umwelt sowie fair und transparent gewonnen und verarbeitet. So entsteht eine neue Form von Qualität, die nicht auf Schadensbegrenzung setzt.
„Mit Cradle to Cradle stellen wir das lineare Qualitätsverständnis infrage”, sagte Tim Janßen, Geschäftsführender Vorstand von Cradle to Cradle NGO. “Es geht darum, welche Materialien wir nutzen. Nicht darum, was nicht in einem Produkt enthalten ist. Wir kommen von einem Cradle to Grave-Paradigma und wollen es zu Cradle to Cradle verschieben. Produkte müssen Teil der Lösung sein, nicht Teil des Problems.”
Viele Brancheninitiativen zeigen, dass das Bewusstsein für Lieferkettentransparenz und CO₂-Reduktion zunehmend wächst. Doch allzu oft beschränken sich diese Initiativen etwa auf Energieeffizienz, während andere Aspekte außen vor bleiben. Auch das, was wir unter Kreislaufwirtschaft verstehen, bedeutet häufig lediglich Downcycling oder ist nur eine Art von Abfallmanagement.
„Wir machen das Falsche perfekt und damit perfekt falsch“, brachte es Cradle to Cradle Vordenker Prof. Dr. Michael Braungart auf den Punkt. „Ein Produkt, das zu Abfall wird, hat ein Qualitätsproblem.“
Wirtschaftlichkeit, Umweltförderung und soziale Standards
Nach Cradle to Cradle werden Lösungen für Klima- und Ressourcenfragen mit sozialen Aspekten und zukunftsorientierten Wirtschaftsmodellen verknüpft. Design und zirkuläre Ressourcennutzung gelten als Schlüssel für Innovationen und positiven Wandel. Darüber hinaus sollen Wasser und Böden nicht nur erhalten, sondern gefördert werden.
Wirtschaftlich zahlt sich das schon heute aus. Unternehmen, die auf C2C setzen, steigern ihre Wettbewerbsfähigkeit und passen sich frühzeitig an künftige Regulierungen an.
„C2C hilft unheimlich, verschiedene Aspekte zu berücksichtigen und wissenschaftlich fundiert an Themen heranzugehen”, erklärte Bastian Urban von der WIK Group. „C2C denkt weiter als aktuelle Gesetzgebungen. Themen wie PFAS hatten wir schon auf dem Schirm, als sie noch niemand diskutiert hat. Wer C2C anwendet, ist seiner Zeit voraus.”
Auch Samuel Dansette von AfB Social and Green betonte „Wir haben von Anfang an gesagt, wir machen Kreislaufwirtschaft. AfB ist in kurzer Zeit stark gewachsen und beschäftigt heute rund 700 Mitarbeitende, die Hälfte davon sind Menschen mit Behinderungen. Wichtig ist, eine qualitätsvolle Dienstleistung anzubieten”.
Ein neues Narrativ für Wirtschaft und Gesellschaft
Unser Engagement auf der IFA fand in Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung statt. In der gemeinsamen Session „Weg von Ressourcenabhängigkeit – Wirtschaftlich erfolgreich durch Circular Economy und Cradle to Cradle“ mit Dr. Alexandra Schmied ging es darum, ein neues, positives Narrativ zu entwickeln.
„Nachhaltigkeit darf nicht im Widerspruch zur Wirtschaftlichkeit stehen“, so Schmied. „Nachhaltigkeit ist ein wirtschaftliches Thema, das Unternehmen beschäftigen muss, damit sie langfristig erfolgreich sein können. Wenn wir Produkte gestalten, muss alles bedacht werden, was hineinspielt. Wir müssen wegkommen vom linearen Prinzip‚ produzieren und wegwerfen‘ und stattdessen Wirtschaft so umbauen, dass sie ökologisch, sozial und ökonomisch zusammenpasst.“
Positionspapier: Cradle to Cradle und Consumer Electronics
Das Positionspapier zu C2C und Consumer Electronics zog sich thematisch durch das Bühnenprogramm. Das Papier beschreibt, wie Geräte nach Cradle to Cradle heute schon aussehen werden können. C2C-Geräte:
- sind so gestaltet, dass alle Bestandteile – vom Gehäuse über die Batterie bis zu Kabeln und Beschichtungen – kreislauffähig und in ihrer Nutzung unbedenklich für Mensch und Umwelt sind
- sind definierte Materialbanken
- sind entlang der gesamten Lieferkette gedacht
- machen Nachhaltigkeitsansätze wirklich wirksam und schaffen Raum für Innovationen
- sind von umfassender Qualität
Die im Papier zusammengefassten Erkenntnisse zeigen, dass die Umstellung auf Cradle to Cradle nicht ohne Herausforderungen bleibt. Unternehmen berichten von vergleichsweise geringer Akzeptanz neuer Nutzungsmodelle bei Kund*innen und von niedrigen Rücklaufquoten bei Elektrogeräten. Gleichzeitig wird deutlich, dass ein „Weiter wie bisher“ wirtschaftlich, ökologisch und sozial schon heute keine Option mehr ist.
Das Papier führt auf, wie der Wandel Schritt für Schritt gelingt, indem Unternehmen einzelne Produkte oder Kriterien nach Cradle to Cradle optimieren. Dazu gehört die Anpassung von Lieferketten und Produktionsprozessen. Zielgerichtete Investitionen in eine C2C-Strategie ermöglichen einen ganzheitlichen Ansatz. Dafür sind neue Strukturen und Geschäftsmodelle notwendig, wie etwa Nutzung statt Besitz, Rücknahmesysteme, Demontageprozesse, kontinuierliche Materialkreisläufe, Materialpooling sowie digitale Produktpässe für Transparenz und Qualitätssicherung.
Den nächsten Schritt gestalten
„Es gibt auf der IFA viele spannende Innovationen zu entdecken und gleichzeitig viel potenziellen Müll von morgen“, sagte Griefahn. „Wir sehen bereits tolle Beispiele, doch es bleibt noch viel zu tun. Entscheidend ist, dass wir gemeinsam daran arbeiten, Dinge anders zu machen, und die IFA als Ort nutzen, um dafür zusammenzukommen.“
Jetzt gilt es, den nächsten Schritt zu gehen, der über Energieeffizienz und Emissionen hinausgeht. Ressourcen, Gesundheit, Digitalisierung sowie soziale und ökologische Aspekte müssen zusammengedacht werden. Ziel ist, dass C2C selbstverständlich wird. Unsere Partnerschaft mit der IFA hat gezeigt, dass Consumer Electronics mit positivem Fußabdruck machbar sind und die Branche bereits die ersten Schritte unternimmt. Solche gemeinsamen Impulse sind entscheidend, um den Wandel weiter voranzutreiben.
Die IFA war für uns nur der Start. Wir wollen uns weiter für kreislauffähige Consumer Electronics einsetzen. Wie du uns dabei unterstützen kannst, erfährst du auf unserer Webseite.