MELAWEAR-Gründer Henning Siedentopp im Gespräch über seine T-Shirts aus Cradle to Cradle-Materialien und eine verantwortungsvolle Textilproduktion!
C2C e.V.: Seit 2014 gibt es Euch schon und seit dem scheint der Markt für nachhaltige und fair produzierte Mode in Deutschland stetig zu wachsen. Was unterscheidet MELAWEAR von anderen Hersteller*innen nachhaltiger Mode? Was ist Euer Ding?
Henning Siedentopp: Der Unterschied zu anderen ist, dass wir zu 100 % Produkte herstellen, die immer Fairtrade- und GOTS-zertifiziert sind. Ich glaube, wir sind das einzige Textilunternehmen, das das überhaupt macht. Außerdem unterscheidet uns, dass wir von Anfang an darauf achten, dass wir nur Produkte herstellen, die wir auf Cradle to Cradle (C2C) Gold Standard umstellen können – das ist unser langfristiges Ziel als zusätzliche Ergänzung. Wir überlegen also bereits bevor wir ein Produkt machen, ob und wie man es später umstellen kann. Ein weiterer wichtiger Unterschied und unser Hauptmerkmal ist, dass wir 30 – 50 % günstiger sind als andere, die im nachhaltigen Markt unterwegs sind. Häufig sind diese Herstellern nicht zertifiziert oder gefallen konventionellen Kunden nicht, weil sie nicht so gut aussehen.
C2C e.V.: Wie schafft Ihr es trotz Eurer hohen Standards 30 – 50 % günstiger zu sein?
Henning Siedentopp: Wir machen keine Fashionprodukte, die sich alle 2 – 3 Wochen oder auch nur zweimal im Jahr ändern. Wir machen Essentials und Klassiker, also Produkte, die langlebig sind – auch im Design. Außerdem produzieren wir extrem hohe Stückzahlen in Indien, wir haben also keine kleine kostspielige Produktion. Zusätzlich verzichten wir auf Promotion, wir geben keine Gelder für kostspielige Kampagnen mit Models, Facebook oder Anzeigen und so weiter aus. Wir werden dadurch bekannt, dass wir zertifiziert sind und einen günstigen Preis bieten und dass unsere Produkte in 350 Geschäften verfügbar sind.
C2C e.V.: MELAWEAR hat jetzt auch eine T-Shirt-Serie in C2C Qualität im Angebot. Was hat Euch bewogen zusätzlich zu den anderen Standards auch nach dem C2C Standard zu produzieren?
Henning Siedentopp: Das finale Produkt selbst ist nicht zertifiziert, aber alle Materialien, die wir eingesetzt haben, sind es. Wir als kleines Unternehmen können uns eine C2C-Zertifizierung des Endproduktes noch nicht leisten. Wir setzen daher auf Transparenz, um das Vertrauen der Kunden zu gewinnen. Fairtrade und GOTS sind für uns ein guter Start. Wir wollen uns zusätzlich auch den Themen Wasser, Energie sowie Wiederverwertbarkeit und biologische Abbaubarkeit widmen. Der C2C Standard hilft, diese Punkte noch besser zu beleuchten. GOTS ist speziell für Textilien, Fairtrade ist besser wenn es rein um die sozialen Standards geht. Aber wenn es um das Ganzheitliche geht, um die Themen Wasser, Energie, Materialgesundheit und Wiederverwendbarkeit, dann eignet sich C2C am besten – auch wenn es kein reiner Textilstandard ist. Und für uns ist das von der konsistenten Nachhaltigkeitsstrategie her der Standard, an dem man sich am besten orientieren kann, wo es schon am meisten gibt. Wir machen das nicht, weil Kunden danach fragen, denn das tun sie momentan noch nicht, sondern weil wir das nachhaltigste Produkt am Markt anbieten wollen und da reicht es nicht aus etwas zu machen, was andere auch können.
C2C e.V.: Wie seid Ihr auf C2C aufmerksam geworden?
Henning Siedentopp: Ich habe an der Leuphana Universität in Lüneburg studiert. Wenn man sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt sowie mit verschiedenen Nachhaltigkeitsstrategien und Produkte macht, kommt man an C2C nicht vorbei.
C2C e.V.: Viele heutige C2C Unternehmen sind im Laufe ihrer Entwicklung neue Wege gegangen. C2C inspirierte Textilproduktionen fanden bisher in Europa und den USA statt. Du hast vorhin gesagt, dass ihr in Indien produziert. Warum habt Ihr Euch entschieden dort zu produzieren? Welchen Herausforderungen seid Ihr begegnet und wie habt Ihr sie gemeistert?
Henning Siedentopp: Man kann in Europa und den USA C2C Textilien produzieren, aber damit wird man nie den Massenmarkt erreichen, weil man in Europa heute keine Textilien mehr für den Massenmarkt produzieren kann. MELAWEAR ist der Ansicht, dass sich in Punkto Nachhaltigkeit nur etwas verändern kann, wenn man in die Masse geht. Massenprodukte, wenn es um Textilien geht, werden in Asien produziert, deshalb sind wir nach Asien gegangen. Ganz abgesehen davon, dass die Baumwolle in Asien wächst und die gesamte Verarbeitung dort stattfindet. Selbst Produzenten, die in Europa produzieren und sagen „Made in Europe“ kriegen ¾ ihrer Bestandteile aus Asien. Eine Herausforderung für uns als sehr kleines Unternehmen war, dass unsere Abnahmezahlen zwar groß, aber im Vergleich mit anderen Produzenten in Indien doch eher klein sind. Wir mussten unsere Hersteller zuerst überzeugen, uns überhaupt mit den Mengen zu beliefern.
Außerdem mussten wir über zwei Jahre hinweg C2C erklären, das kannte dort natürlich keiner. Daraufhin mussten unsere Produzenten und Partner wiederum die Zulieferer beknien uns überhaupt die Produkte und Materialien, die wir brauchen auch in den kleinen Mengen zu liefern. Am Ende wurden wir dann zur Kasse gebeten und mussten wesentlich mehr zahlen als andere, weil wir etwas Neues wollten und das auch noch in kleinen Mengen. Dazu kommt, dass es viele C2C-Materialien in Indien noch gar nicht gibt. Die mussten dann dort hingebracht werden, das war wiederum teuer, aufwendig und kompliziert. Wir mussten alle davon überzeugen, dass das der richtige Weg ist, wenn es um die Materialien geht. Auch die Energie- und Abwasserwerte in einem kleinen Team, welches nicht unbedingt nur mit promovierten Naturwissenschaftlern besetzt ist, zu erfassen und zu verstehen war nicht ganz so leicht. Außerdem ist es schwierig als kleines Unternehmen ohne großes Budget Informationen über C2C Materialien oder gar die Materialien selbst zu beschaffen. Das heißt man kann nicht automatisch die Materialien beziehen, die es schon gibt.
C2C e.V.: Ein wichtiger Punkt des C2C Konzepts sind gesunde Arbeitsbedingung und eine faire Bezahlung für Mitarbeitende. Wie stellt Ihr sicher, dass das bei Euren Produzent*innen in Indien umgesetzt wird?
Henning Siedentopp: Wir arbeiten bisher und auch in Zukunft nur mit Betrieben zusammen, die ihre gesamte Lieferkette zertifiziert haben, auditiert und regelmäßig überwacht werden. Dafür gibt es zum einen den GOTS-Standard, der ein sehr großes Sozialprogramm umfasst. Und es gibt den Fairtrade-Cotton-Standard, der auch sehr hohe Sozial-Standards hat, sogar höhere Löhne für die Bauern und für Baumwollpflücker feste Prämien und Abnahmepreise. Unsere Fabriken arbeiten nach SA8000, das ist der höchste Industriestandard für soziale Auditierung. Wir gehen außerdem noch einen Schritt weiter, in dem wir all unsere Produzenten jährlich besuchen und diese auch zu uns kommen und wir sie dann selber auditieren und anschauen können. Außerdem entwickeln wir als Pilotpartner mit Fairtrade zusammen den neuen Textilstandard: Das ist ein Zusammenschluss in der Industrie, der erstmalig die gesamte Lieferkette für ein Produkt von vorne bis hinten mit festen Standards für Löhne versehen will, die über den Mindestlohn des Staates, in welchem produziert wird, hinausgehen. Das Ziel des Fairtrade Textilstandards ist, dass der Produzent es schafft, in sechs Jahren all seinen Näherinnen den existenzsichernden Lohn und nicht den Mindestlohn zu zahlen. Wir bei MELAWEAR haben uns freiwillig im Rahmen eines Pilotprojekts dazu verpflichtet 10% auf den Fabrikpreis unsere Produkte draufzuschlagen, der direkt an die Näherinnen ausgeschüttet wird: Das nennen wir die MELA-Prämie. Die Idee ist, dass die anderen Marken und Labels, die bei unserem Produzenten produzieren, und noch viel größer sind als wir, nachziehen. Wenn es dann alle machen, würde sich signifikant etwas ändern. Und die Näherinnen in der gesamten Fabrik würden mehr verdienen.
C2C e.V.: Warum habt ihr Euch für einen Produktionsort entschieden, der vergleichsweise lange Transportwege und dementsprechende CO2 Belastungen in Kauf nimmt?
Henning Siedentopp: Wir sind der Meinung, dass unsere CO2-Bilanz geringer ist, als die vieler Labels, die meinen sie würden in Europa produzieren. Denn wenn man sich diese Textilien genauer anschaut, dann finden nur die letzten Arbeitsschritte, auch final assembly, die ausschlagbebend für die Zertifizierung sind, in Europa statt. Nehmen wir eine Hose, die ich am Ende der Fertigung mit einem Logo versehe und dadurch der Wert entsteht, dann steht auf der Hose „Made in Italy“. Bevor die Hose aber in Italien mit dem Logo fertiggestellt wird, ist sie fünfmal zwischen Europa, Asien, Nordafrika und Osteuropa hin und hergereist: um Baumwolle anzubauen, zu färben, zu spinnen, zu weben und eventuell mit Sand zu bestrahlen, um einen Effekt zu erzeugen. Wir produzieren ganz bewusst in Indien, denn wir wissen, dass es nicht ressourcenfressender ist, als in Europa zu produzieren. Wir wollen also nicht hier Gutes noch besser machen, sondern dort, wo es noch große Probleme gibt etwas verändern und das ist Indien.
C2C e.V.: Eine Herausforderung in der Produktion nach C2C ist nach wie vor die Rücknahme und anschließende Wiederverwertung der Produkte. Manchmal landen sie doch wieder in Müllverbrennungsanlagen. Eure T-Shirts sind kompostierbar und damit Teil des biologischen Kreislaufs. Wie stellt Ihr Euch das Leben eurer T-Shirts vor? Wie sorgt Ihr für eine biologische Wiederverwertung?
Henning Siedentopp: Wir haben gerade erst damit angefangen das umzusetzen und bevor man ein Rücknahmesystem aufbauen kann, das wirtschaftlich funktioniert, braucht man eine größere Menge an Produkten, die man zurücknehmen kann. Und ich kann z. B. nicht, wie ein H&M, alle Produkte zurücknehmen, denn ich will keine Kleidung haben, die toxisch belastet ist. Sondern ich will nur meine Kleidung haben. Bis wir das gewährleisten können, gehen sicherlich noch einmal fünf Jahre ins Land. Und wenn es soweit ist, wird es so sein, dass die Kunden Informationen mit den Produkten erhalten, wo und wie sie diese Produkte zurückgeben können und was damit passiert. Vielleicht gibt es dann Rabatt-Coupons für einen Neukauf, damit wir dem Produkt ein drittes oder viertes Leben geben können. Das wäre auch die maximale Nutzungsdauer für ein Baumwoll-Textil. Da kommt es dann später allerdings auch sehr auf den Kunden an, der versteht, dass ein Textil einen Wert hat und es daher zurückgeben will. Bis die Kunden das verinnerlichen, werden auch noch einmal fünf bis sieben Jahre ins Land gehen, dann sind die Baumwollpreise und Preise für Baumwoll-Textilien entsprechend hoch. Das ist noch ein relativ langer Weg. Unsere Produkte sind außerdem so hochwertig, dass die T-Shirts locker 5-10 Jahre halten. Das heißt in dieser Zeit kriege ich sowieso kein Produkt zurück.
C2C e.V.: C2C umfasst nicht nur den Kreislaufgedanken sondern auch eine Materialgesundheit. Was glaubst Du sind die wesentlichen Vorteile der Umstellung auf C2C für Eure Kund*innen?
Henning Siedentopp: Der Kunde kommt nicht mit künstlich erzeugten Materialien in Kontakt. Das Nähgarn bei unserem T-Shirt ist beispielsweise kein Polyester mehr, sondern ist auf Cellulose-Basis. Das Gesamtprodukt ist komplett aus natürlichen Rohstoffen. Und alle Farbstoffe die zur Färbung des Nähgarns und der T-Shirt-Stoffe eingesetzt werden sind C2C Gold Zertifiziert. Der C2C Gold sowie der Platin Standard gehen gleichbedeutend auf die Chemikalienliste bezüglich der Haut und Umweltverträglichkeit ein. Viele herkömmliche Textilien enthalten krebserregende Stoffe, Weichmacher und Halogene, die schädlich für uns sind. Meist entstehen Gesundheitsprobleme zwar langfristig aber sie sind trotzdem da.
C2C e.V.: Und jetzt noch ein Blick in die Zukunft! Wie sieht es bei MELAWEAR in 5 oder 10 Jahren aus?
Henning Siedentopp: In 10 Jahren bekommt man bei MELAWEAR alle Textilien die man braucht von Kopf bis Fuß. In jeder Großstadt ist ein MELAWEAR-Geschäft und man kann alle Textilien und Produkte direkt an MELAWEAR zurückgeben oder sie enthalten einen Hinweis, wo man sie zur biologischen Wiederverwertung zurückgeben kann. Man wird die ersten Produkte von MELAWEAR kaufen können, die aus der zweiten oder dritten Generation sind, also wiederverwertet wurden. MELAWEAR wird die Marke sein im Basic/Essential Textil-Bereich, die alle Leute in Europa und Indien kennen werden.