Dirk Messner ist Präsident des Umweltbundesamts (UBA), Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und war mehrere Jahre Co-Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Er hat außerdem an Publikationen mitgearbeitet, die sich mit internationalen Beziehungen im Klima Sektor beschäftigen. Mit Nora Sophie Griefahn hat sich Messner am 24. September über den Einfluss des UBAs, soziale Gerechtigkeit beim Umweltschutz, die Klimapolitik der Bundesregierung und ein emissionsneutrales Deutschland unterhalten.
Das UBA ist die zentrale Umweltbehörde Deutschlands. Die 16.000 Mitarbeiter*innen erstellen dort Prognosen für die Zukunft und beraten mit diesem Wissen die Bundesregierung und speziell das Bundesumweltministerium. Das UBA versteht sich als Frühwarnsystem, das mögliche zukünftige Beeinträchtigungen des Menschen und der Umwelt rechtzeitig erkennt, bewertet und praktikable Lösungen vorschlägt. Wenn man über Gesetze spricht, die unsere Umweltpolitik leiten, ist es unabdingbar, über die Arbeit des UBA zu sprechen. Denn seine Forscher*innen führen seit 40 Jahren Studien durch, die zu Grundlagen für Empfehlungen für die Umweltgesetzgebung werden. Neben der Forschung in unterschiedlichen Fachdisziplinen macht die Behörde auch Öffentlichkeitsarbeit. Das sei vor allem relevant, um Fragen von Bürger*innen zum Umweltschutz zu beantworten, sagte UBA-Präsident Dirk Messner im Gespräch mit Nora.
Nicht jede Studie wird beachtet
In der politischen Umsetzung werde indes oft deutlich, dass der Einfluss des UBAs trotz seiner zentralen Rolle beschränkt sei, sagte Nora im Gespräch. Dafür sei auch die vom UBA erstellte RESCUE Studie ein Beispiel. Darin wurden sechs Szenarien erarbeitet, um die Rohstoff-Inanspruchnahme und die Treibhausgasemissionen in Deutschland zu senken. Dabei ist vor allem relevant, dass in den Szenarien Lösungen entwickelt wurden, die die Rohstoffsicherung als unabdingbar für Treibhausgasneutralität vorsehen. Für Cradle to Cradle NGO ist diese Studie deshalb sehr relevant. Die momentane Umweltgesetzgebung der Bundesregierung sichert nämlich nicht ab, dass Rohstoffe im Kreislauf bleiben. So verlieren wir endliche Rohstoffe und es entsteht Müll. „Wir sind ein rohstoffarmes Land. Auch wenn wir Ressourcen weniger nutzen, verwenden wir sie immer noch. Wir müssen dahin kommen, dass wir sie gar nicht mehr verbrauchen, sondern nur noch nutzen“ sagte Nora. Deshalb sei die RESCUE Studie ein Schritt in die richtige Richtung. Darum sei es aber auch zu kritisieren, dass die aktuellen deutschen Umweltgesetze die Ergebnisse der Studie nicht ausreichend beachten.
Messner stimmte zu, dass sich in der tatsächlichen Gesetzgebung die Ergebnisse und Meinungen des UBA nicht immer zufriedenstellend wiederspiegeln. Allerdings, so betonte er, sei die Arbeit des UBA in vielen Bereichen sehr relevant. Es habe zum Beispiel maßgeblich dafür gesorgt, dass ein früheres Nischenthema, der Umweltschutz, im Zentrum der politischen Diskussion angekommen sei: „Es ist ein großer Erfolg, dass wir so ein abstraktes Problem wie den Klimawandel, den wir nicht riechen, schmecken oder sofort bemerken können, in der Gesellschaft verankern konnten.“
Neutral sein ist nicht genug
Die beiden waren sich einig, dass in Deutschland und weltweit noch viel für den Umwelt- und Ressourcenschutz getan werden muss. Beide finden aber auch, dass viele Fortschritte der industriellen Revolution positiv sind: „Es ist nicht richtig zu denken, dass alle Errungenschaften in den letzten 200 Jahren schlecht sind. Aber man sollte vieles kritisch hinterfragen und diskutieren wie wir Dinge umgestalten, besser und gesünder machen können, um Verzicht aus dem Weg zu gehen“ sagte Nora. Wenn Cradle to Cradle-Vertreter*innen sich mit anderen Umweltschützer*innen, Aktivist*innen oder Expert*innen austauschen, unterscheide sich oft nicht nur die Herangehensweise, sondern auch das konkrete Ziel. Während sich der klassische Umweltschutz inzwischen auf die Reduktion von CO2-Emissionen und damit den Klimawandel konzentriert, will Cradle to Cradle durch die konsequente Kreislaufführung aller Rohstoffe einen ganzheitlichen ökologischen Wandel erzielen. Laut Messner strebt das Umweltbundesamt an, die Emissionen in Deutschland bis 2040, spätestens 2050, auf null runterschrauben. „Wir haben einen noch höheren Anspruch. Das Ziel, wir wollen neutral sein, ist uns nicht genug. Wir wollen Nützlinge sein und einen positiven Beitrag leisten“ warf Nora ein.
Weniger Autos allein reicht nicht aus
Ein Beispiel, das die unterschiedliche Betrachtungsweise verdeutlicht, ist die Mobilität der Zukunft. Das Umweltbundesamt will den Autobesitz von 600 auf 150 Autos pro 1000 Einwohner*innen herunterschrauben, fördert damit also Verzicht. Cradle to Cradle, so Nora, wolle mehr. Denn auch dieser Verzicht würde deutschlandweit immer noch zu 12,5 Millionen Autos führen, die schädliche Abgase ausstoßen. C2C steht dafür, nicht nur weniger schlecht zu sein, sondern positiv. Das beinhaltet auch, Materialien zu nutzen, die nicht nur emissionsneutral, gesund und voneinander trennbar sind, sondern die klimapositiv sind und im Kreislauf bleiben. Um das zu ermöglichen, so Nora, müsse neben der Öko-Effizienz, Effektivität in den Vordergrund gestellt werden. Öko-Effizienz führe nur dazu, dass wir schädliche Produkte perfekt schlecht machen. Wir produzieren also mehr Autos mit weniger Rohstoffen. Weniger schlechte Autos sind aber nicht mehr gute Autos. Laut Cradle to Cradle ist dieser Ansatz also nur Schadensbegrenzung. Öko-Effektivität sei entscheidend, so Nora. Dazu gehöre auch, sich zu fragen, welchen Nutzen das Produkt eigentlich erfüllen soll und welche Substanzen dafür notwendig seien. Wenn Menschen Autos besitzen, um schnell an Orte gelangen zu können, wäre die logische Herangehensweise, die öffentlichen Verkehrsmittel weiter auszubauen. Das wäre deutlich effektiver, als weiter Verbrenner- oder Elektroautos zu produzieren, deren Emissionen zwar ein wenig gesenkt werden, deren Bestandteile in der Zukunft aber zu Sondermüll werden, so Nora.
Soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz
Im Lab Talk, der während der Digitalen Akademie 2020 stattfand, kommentierte ein virtueller Zuschauer, dass das Gegenspiel von sozialen und ökologischen Interessen zu einem enormen Akzeptanzproblem in der Bevölkerung führe. Dabei könne zum Beispiel ein anderer Umgang mit Ressourcen im Sinne von Nutzung statt Verbrauch auch eine Verbesserung für die ganze Menschheit sein. Nora fügte hinzu, dass die Menschen, die täglich in Städten an schlechter Luftqualität und Lautstärke leiden, diejenigen seien, die sich kein Haus abseits von Hauptverkehrsstraßen leisten könnten. Im Sektor Verkehr haben die oberen einkommensstarken 30 % der Bevölkerung einen doppelt so großen negativen Fußabdruck wie die unteren 30 %, so auch Messner. Wie er plane die soziale und ökologische Frage miteinander zu kombinieren, erklärte er uns auch gleich: „Bleiben wir bei diesem Beispiel. Wenn man stärker auf Fahrrad und ÖPNV setzt, löst man das Umweltbelastungsproblem und bedenkt soziale Gerechtigkeit. Weniger volle Hauptstraßen, bessere Anbindungen für Menschen die sich keine Autos leisten können, mehr Platz und Sicherheit für Bewohner, Fahrradfahrer, Bäume und Insekten.“ Dies sei nur ein Beispiel und könne auch nicht überall angewendet werden. Oft sei es auch nicht so eindeutig, wie soziale und ökologische Gerechtigkeit verbunden werden können. Aber, der generelle Gedanke, bei Fragen im Bereich Umwelt- und Ressourcenschutz auch immer die soziale Komponente zu bedenken, sei richtig und zentral, so Messner. Auch aus diesem Grund wurde unser C2C LAB unter anderem in einem Plattenbau umgesetzt, sagte Nora. Wir wollen zeigen, dass ökologisch sinnvolle und gesunde Räume überall entstehen können und keine Frage von teuren Neubauten sind. „Wir müssen jetzt radikal umdenken, aber, und da stimme ich Cradle to Cradle voll zu, wir müssen das mit Lebensqualität verbinden“ sagte Messner.
Was das Beschaffungskonzept der Bundesregierung mit Recycling zu tun hat
Eine weitere Zuschauerfrage, die für Diskussionen sorgte: Während die Bundesregierung für nachhaltigeres Wirtschaften werbe, achte sie selbst in ihrer öffentlichen Beschaffung von Materialien und Produkten nicht auf Materialgesundheit und Kreislauffähigkeit, sondern nur auf den Preis, lautete der Vorwurf aus unserem virtuellen Publikum. Ein Vorwurf, den Messner durchaus nachvollziehen kann. 20 % des Bruttosozialproduktes werde durch die öffentliche Beschaffung erzeugt, sagte er. Also durch jene Güter und Produkte, die sämtliche Behörden in Deutschland jährlich einkaufen – vom Notizblock über Reinigungsmittel bis hin zu Ausschreibungen für Bauvorhaben. Damit ist eine enorme Marktmacht verbunden. „Wenn wir die öffentliche Beschaffung umorientieren, würde das Märkte umgestalten und die Nachfrage zukunftsorientierter machen. Das ist nicht marginal, sondern ein großer Faktor“ so Messner. Das UBA arbeite daran, dass die Regierung Materialgesundheit weiter oben auf die Prioritätenliste setze.
Die Relevanz der Kommunalebene
Auch bei Cradle to Cradle NGO setzen wir uns damit auseinander. Im Referat Städte und Kommunen arbeiten wir mit Regionen zusammen, um unter anderem ihre Beschaffungsrichtlinien an Cradle to Cradle-Kriterien anzupassen. Auf kommunaler Ebene anzufangen, sei ein effizienter Weg die Problematik schon früher am Schopf zu packen, so Nora. Messner zufolge würde eine Umstrukturierung des Beschaffungskonzepts auf Bundesebene dazu führen, dass die Bundesregierung auch Preise und Subventionen neu durchdenken würde. Für Nora spielte dabei die Besteuerung von Rezyklaten eine erhebliche Rolle. „Recyclingkunststoff ist immer noch teurer als ein Virgin-Material-Kunststoff, weil auf ersteres Mehrwertsteuer gezahlt werden muss und Erdöl, das zum produzieren von neuem Kunststoff verwendet wird, nicht besteuert ist“, benannte sie einen Bereich, in dem die Politik dringend umsteuern muss. Dem stimmte Messner zu und signalisierte Offenheit dafür, vernetzt zu arbeiten und den Dialog und Wissensaustausch mit Organisationen und Firmen auch in Zukunft zu pflegen.