Wie kann man Mobilität und Logistik nach Cradle to Cradle gestalten? Diese Frage diskutierten wir am 24.10.23 mit drei Panelist*innen und vielen interessierten Berliner*innen. Das Event war das zweite in der Eventreihe “Berlin, du bist so cradlebar.” und fand im CRCLR House von Impact Hub statt, das nach Cradle to Cradle saniert wurde. Mit der Eventreihe wollen wir Themen und Erkenntnisse aus dem Projekt Labor Tempelhof weiter diskutieren und in die Berliner Bezirke tragen.
Mobilität und Logistik sind zentrale Aspekte unseres Lebens. Wir fahren zur Arbeit, zu Freund*innen oder in den Urlaub. Produkte werden in Supermärkte und direkt zu uns nach Hause geliefert. Doch gleichzeitig trägt der Mobilitätssektor entscheidend zum Klimawandel bei – in Deutschland ist er weiterhin für 20 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Außerdem belastet das Design unserer Fahrzeuge die Umwelt: Der Abrieb von Reifen macht beispielsweise rund ein Drittel der deutschen Mikroplastik-Emissionen aus. Für unser Grundbedürfnis nach Mobilität brauchen wir also zukunftsfähige Modelle, die ein Wirtschaften und Leben innerhalb der planetaren Grenzen ermöglichen.
Ein ganzheitlicher Ansatz nach Cradle to Cradle
Wie solche zukunftsfähigen Modelle und Ansätze aussehen können, haben wir in unserem Impulspapier zum Thema Mobilität und Logistik nach Cradle to Cradle aufgeschrieben. Dabei geht es nicht nur darum, den CO₂-Ausstoß von Fahrzeugen zu vermeiden. Für einen ganzheitlichen Ansatz nach Cradle to Cradle müssen wir die Fahrzeuge selbst nach Cradle to Cradle designen, neue Geschäftsmodelle, wie Sharing oder Product-as-a-Service mitdenken und die passende Infrastruktur für die Mobilität der Zukunft schaffen. Diese muss an verschiedene Nutzungsszenarien angepasst sein, um sich an den Bedürfnissen der Menschen zu orientieren.
Städte in Bewegung
Um diese Themen drehte sich auch das Event “#2 Städte in Bewegung”. Zu Beginn stellte Isabel Gomez, Mitglied der Geschäftsleitung von C2C NGO, das Mobilitätskonzept bei Labor Tempelhof vor. Bei der Planung der Konzerte wurde die Anreise der Besucher*innen und der Bands mit einbezogen, denn bei Großveranstaltungen wie diesen entfallen 80 % der Emissionen auf die An- und Abreise des Publikums. Für das Labor Tempelhof erhielten die Besucher*innen mit ihren Tickets gleichzeitig ein ÖPNV-Ticket, mit dem sie kostenlos zu den Konzerten anreisen konnten. Dadurch kamen 80 % der Besucher*innen nicht mit dem Auto, sondern mit dem Rad, zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Tempelhofer Feld. Mehr zum Mobilitätskonzept von Labor Tempelhof hier.
Wie kann man diese Erfahrungswerte und Praktiken jetzt auch außerhalb vom Veranstaltungskontext anwenden? Welche anderen Möglichkeiten gibt es, Mobilität und Logistik zukunftsfähig zu gestalten?
“Setzen Sie gesunde Materialien ein und davon die richtigen und dann haben sie gewonnen.”
An der Diskussion dieser Fragen nahmen Jörg Witthöft, Leiter des Aufarbeitungswerkes der ZF Group in Bielefeld, Annika Hoenig vom Start-Up Betteries und Klaus Kirr von Porsche Consulting teil. Jörg Witthöft erzählte in seinem Input von der Aufarbeitung von LKW-Bestandteilen nach Cradle to Cradle. So erneuern die Mitarbeitenden im Aufarbeitungswerk in Bielefeld die von Kund*innen zurückgelieferten Bestandteile, indem sie das Produkt in seine Einzelteile zerlegen und beschädigte Teile aufarbeiten. Am Ende entspricht das Produkt aktuellen Standards und weist die gleiche Qualität auf wie ein komplett neu produziertes Stück. Durch diese Arbeitsweise sind viele der Produkte des Werkes C2C-zertifiziert. Laut Witthöft ist die Auswahl der Materialien ein wichtiger Aspekt der Mobilität der Zukunft: “Setzen Sie gesunde Materialien ein und davon die richtigen und dann haben sie gewonnen.”Batterien im Kreislauf
Mit einem steigenden Anteil von Elektromobilität als Antriebsform, müssen wir uns Lösungen überlegen, wie wir die in Batterien verbauten wertvollen Rohstoffe zurück in den Kreislauf führen können. Genau damit befasst sich das Start-Up Betteries: Annika Hoenig berichtete bei der Veranstaltung über Produktzyklen von Autobatterien. Häufig werden diese schon als unzureichend angesehen und ausgebaut, wenn sie eigentlich noch über 70 % Batterieleistung verfügen. Betteries gibt diesen Autobatterien ein zweites Leben. Mit den sogenannten BetterPacks können die verbleibenden 70 % zum Beispiel ein Tuk-Tuk antreiben oder als Generator in Krisengebieten dienen. Durch die Arbeit von Betteries wird nicht nur Elektromüll eingespart. “Es geht auch darum, CO₂-Emissionen zu vermindern, denn wenn ich es schaffe, einer Batterie ein neues Leben zu geben, muss ja keine neue Batterie genutzt werden. Das heißt, die ganzen CO₂-Emissionen, die bei der Produktion einer Batterie anfallen, könnten eigentlich wegfallen”, erklärte Hoenig.Klaus Kirr ist überzeugt davon, “dass Unternehmen, die in den 2030er Jahren erfolgreich sein werden, zirkuläre Geschäftsmodelle implementiert haben werden.” Recycling und Dismantling seien aktuell nicht Teil der Geschäftsmodelle etablierter Automarken. Dabei gäbe es weltweit 1,5 Milliarden Gebrauchtwagen, die “revitalisiert” und in einen zweiten Produktzyklus überführt werden könnten.
Es braucht eine Umstellung der Mentalität auf allen Seiten
Während der Paneldiskussion ging Isabel zusammen mit den Panelist*innen und einigen Stimmen der Zuschauer*innen auf die Frage ein, wie der Übergang der aktuellen Automobilindustrie hin zum Wunschbild, das die Panelist*innen zuvor beschrieben hatten, zu schaffen sei.Hoenig nannte die Zusammenarbeit zwischen großen Corporates und Start-ups als wichtigen Faktor. Etablierte Unternehmen seien wie Tanker, an denen der Markt oft schnell vorbeizieht, bevor sich etwas tut. Start-ups hingegen hätten die Möglichkeit mehr auszuprobieren und neue Konzepte zu erproben. Witthöft sah einen wichtigen Hebel in der Zusammenarbeit mit Kund*innen als Partner. So sollen die Kund*innen von Beginn an Teil des Konzeptes sein. Hoenig betonte, wie wichtig es sei, zu kommunizieren, dass die Nutzer*innen nicht zum “Teil des Problems, sondern zum Teil der Lösung” gemacht werden können. Kirr sah eine Lösung in der Umstellung der Mentalität, sowohl bei den Produzent*innen als auch bei Kund*innen. Automobilfirmen würden davor zurückschrecken, einen neuen Markt mit revitalisierten Autos zu erschließen, der dann den Markt für Neuwagen negativ beeinflussen könnte. Auf der Seite von Kund*innen bestehe die Denkweise, dass revitalisierte Wagen nicht die gleiche Qualität haben wie Neuwagen. Auf beiden Seiten müsse also ein Umdenken der Akteur*innen stattfinden.
Die Diskussionsrunde endete mit den Fragen, wie wir uns die Mobilität in der Zukunft vorstellen, welche Ziele wir uns dafür setzen und was wir auch gewillt sind, dafür zu leisten. Bei Getränken und lockerer Atmosphäre kamen die Panelist*innen und Zuschauer*innen noch einmal zu diesen Fragen und den Themen des Abends ins Gespräch und konnten sich über ihre Anliegen, Gedanken und Ideen austauschen. Wir bedanken uns bei allen, die an diesem Event mitgewirkt und teilgenommen haben. Für alle, die es dieses Mal nicht zur Veranstaltung geschafft haben, ist der Livestream der Veranstaltung weiterhin auf Youtube verfügbar.
Nach der Veranstaltung ist vor der Veranstaltung: Nach dem Auftakt der Eventreihe im September und Event #2 im Oktober, könnt ihr euch schon jetzt für das dritte Event der Reihe anmelden. “#3 Stadt als Lebensraum” wird im Godelmann Flagship Store in Charlottenburg stattfinden und sich um die Frage drehen, wie Baupraktiken nach Cradle to Cradle das Stadtklima verbessern und Städte lebenswerter machen können.