Die Eventreihe geht in die nächste Runde: Mit Blick auf die verschneite Dachterrasse des Bikini Berlin trafen sich am 28.11.23 Akteur*innen aus Bauwirtschaft und Politik sowie über 50 weitere Interessierte im Godelmann Flagship Store. Dieses Mal drehte sich alles um das Thema “Stadt als Lebensraum” und die Frage, wie eine Bauwende und Stadtentwicklung nach Cradle to Cradle gelingen kann. Bei den Impulsvorträgen und Diskussionen beleuchteten die Panelist*innen nicht nur technische Aspekte, sondern auch die Frage, welche politischen Rahmenbedingungen wir für die Stadt von morgen brauchen.
Die Bauindustrie zählt in Berlin und weltweit zu den klima- und ressourcenschädlichsten Sektoren und ist für 37 % der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich. Dem Umweltbundesamt zufolge verursacht das Bauwesen außerdem 54,7 % des deutschen jährlichen Müllaufkommens, unter anderem durch Bauschutt und Abbruchmüll. Damit ist das Bauwesen der ressourcen- und müllintensivste Wirtschaftssektor.
Ein Supermarkt im Kreislauf
Es besteht also ein hoher Handlungsbedarf, diese Industrie zirkulär zu gestalten. Hier setzen Projekte, die bereits nach C2C-Anforderungen geplant und umgesetzt werden, ein wichtiges Zeichen. So zum Beispiel Ratisbona: Das Unternehmen entwickelt Bauprojekte für den Einzelhandel. Beim C2C-Event stellte CEO (Chief Environmental Officer) Sebastian Schels das Konzept des Loop Marktes vor, ein Supermarkt, der nach Cradle to Cradle geplant und gebaut wird. Ein wesentlicher Aspekt von Loop ist die Rückbaubarkeit, die es ermöglicht, alle verbauten Stoffe erneut zu nutzen. Durch dieses Konzept werden Gebäude zu Rohstofflagern. Ein weiterer wichtiger Schritt hierfür ist, dass wir die einzelnen Bestandteile, vom Holzbalken bis zur kleinsten Schraube, katalogisieren, beispielsweise in einem digitalen Gebäudepass. Der Bau selbst muss nach C2C-Standards mit gerechten Arbeitsbedingungen durchgeführt werden. Ein Haus, das von Cradle to Cradle inspiriert wurde, ist außerdem gesund für Mensch und Umwelt, da die verwendeten Materialien schadstofffrei sind und durch Begrünung Biodiversität und Luftqualität fördern.
Der Markt als Treffpunkt und Hebel
Schels sieht im Supermarkt als C2C-inspiriertem Gebäude einen gut funktionierenden Hebel, um etwas zu verändern. “Lasst uns den Markt als Ort für gesellschaftliche Transformation nutzen“, forderte er beim Event. Hier gehen jeden Tag Tausende Menschen ein und aus, Kund*innen, Besucher*innen und auch die Mitarbeitenden. Über den Markt könne man diesen Menschen bestimmte Themen wie Cradle to Cradle mit auf den Weg geben. Zudem solle der Loop Markt wieder ein Ort des sozialen Austauschs werden, was bei der Entwicklung vom Marktplatz zum Supermarkt verloren gegangen sei.
Wasser und Boden schützen
Eine weitere Herausforderung der Klimakrise ist die zunehmende Versiegelung des Bodens durch Beton und Teer. Dies aufzuhalten und, wo möglich, rückgängig zu machen, ist eine richtungsweisende Aufgabe für den Bausektor. Unversiegelte Flächen bieten Platz für Bodenökosysteme. Sie können eine unserer wichtigsten Ressourcen, das Wasser, besser aufnehmen und speichern, wodurch auch eine Aufheizung in Mikroklimata vermieden wird. Bei einem Neubau sollten daher Strategien zum Schutz von Boden und Wasser angewandt werden. Ratisbona plant beispielsweise, artenreiche Außenanlagen zur Förderung der Biodiversität und versickerungsfähige Verkehrs- und Pflastersteine um den Loop Markt herum zu nutzen.
Ein Stein wie eine Wiese
Ein solcher Stein ist der Klimastein, entwickelt von Godelmann, dem Gastgeber unserer Veranstaltung. Andreas Voigt, Ingenieur, Architekt und Leiter des Vertriebs in der Berliner Niederlassung von Godelmann, stellte in seinem Impulsvortrag die vielfältigen Funktionen des Produktes vor. Der Klimastein besteht aus drei Schichten, die es möglich machen, Wasser nicht nur versickern zu lassen, sondern auch über längere Zeit zu speichern und in Hitzeperioden wieder durch Verdunstung freizugeben. Dadurch agiert der Klimastein “wie eine Wiese”. So eine Klimastein-“Wiese” wurde beispielsweise schon für den Rewe-Markt in Beelitz-Heilstätten in Brandenburg als Parkplatz angelegt. Der Klimastein ist zudem nach Cradle to Cradle entwickelt worden. “Wenn der Beton einmal hergestellt ist, kann er jederzeit komplett wieder benutzt werden”, versicherte Voigt. Zudem hat Godelmann bereits seit geraumer Zeit Steine im Angebot, die zu 50 % aus Rezyklat bestehen.Bestandsaufnahme
Eine weitere Möglichkeit, Böden zu schützen, ist der Bau im Bestand. Durch die Umnutzung von Gebäuden werden keine weiteren Flächen versiegelt und es müssen weniger Baustoffe eingesetzt werden als im Neubau. Als Eigentümer von rund 4.100 Gebäuden setzt der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW) den Fokus auf den Bau im Bestand. “Den Quadratmeter, den ich als öffentlicher Dienst nicht baue, brauch ich nicht betreiben, ich brauch keine Schadstoffe sanieren und die Steuerzahlenden müssen ihn nicht bezahlen”, erklärte Heike Blohm-Schröder, Ingenieurin und Geschäftsbereichsleiterin für Baumanagement im BLB NRW in ihrem Impulsvortrag. Der BLB NRW als öffentlicher Dienst könne hier in seiner Vorreiterrolle zeigen, was möglich ist.Liegt’s an der Verwaltung?
Trotz vieler praktisch umsetzbarer C2C-Lösungen werden weiterhin Neubauten geplant, die nicht rückbaufähig sind und Bestandsgebäude werden abgerissen, ohne die Materialien sortenrein zu trennen und zur Wiederverwendung aufzuarbeiten. Was fehlt also, um Bauherr*innen und Projektentwickler*innen zum Bauen nach Cradle to Cradle zu bewegen?
Oliver Schrouffeneger, Bezirksstadtrat für Ordnung, Umwelt, Straßen und Grünflächen in Charlottenburg-Wilmersdorf, berichtete in seinem politischen Grußwort, dass der Wille da sei, Projekte umweltfreundlich zu gestalten, doch mache die Verwaltung die Umsetzung meist unnötig schwer: “Wir wissen seit zehn Jahren, was an Themen ansteht, aber wir haben überhaupt keine rechtlichen Rahmenbedingungen, die uns in die Lage versetzen mit Bauherr*innen ernsthaft über das Thema zu diskutieren.”
Helmut Kleebank, Mitglied des Bundestages und Vorsitzender im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung, gab während der Plenumsdiskussion zu bedenken, dass öffentliche Verwaltungen sich in Bezug auf Projekte und Ausgaben, anders als private Unternehmen, an viele Vorschriften halten müssen. Bei einer falschen Entscheidung würden sie dann zur Rechenschaft gezogen, weshalb die meisten dann doch wieder den konventionellen, bewährten Weg gingen. “Es geht eher darum, Recht und Gesetz so aufzustellen, dass [umweltfreundliche] Varianten leichter möglich sind und dass die Verwaltung sich auch traut, sich dafür zu entscheiden, weil sie weiß, sie hat […] das Recht auf ihrer Seite”, erklärte er.
Wie kommen wir dahin, wo wir hinwollen?
Unsere geschäftsführende Vorständin Nora Sophie Griefahn, die das Event moderierte, wies darauf hin, dass solche Gesetze, die als Verbote ausgesprochen werden, auch nach hinten losgehen können. So sei es nach dem Verbot von Einwegplastik nicht mehr möglich, diese Produkte aus alternativen, kreislauffähigen Kunststoffen zu produzieren, da die nötige Infrastruktur nicht mehr zur Verfügung stehe. Sie schlug daher vor: “Die Perspektive wäre vielleicht eher zu definieren ‘wo wollen wir denn hin’ als nur zu sagen, was wir alles nicht wollen.” Kleebank erwiderte darauf, dass bestimmte Maßnahmen immer “Risiken und Nebenwirkungen” mit sich bringen können. Es gebe andere gute Möglichkeiten eine Nachfrage nach kreislauffähigen Materialien und Bauweisen zu generieren, beispielsweise durch vorgegebene Quoten, wie einer Rezyklatquote.
Blohm-Schröder begrüßte den Ansatz, Regularien auf das zu beschränken, was tatsächlich wegweisend ist. Die Zahl der Regularien im Bau sei in den letzten zehn Jahren von 2000 auf 10000 gestiegen, gab sie zu bedenken. In einer überregulierten Gesellschaft müssen “die Leute Bock auf Nachhaltigkeit haben”. Der Anspruch der Politik müsse es sein, den Impuls hierfür zu geben, auch im Austausch mit den Bürger*innen.
Nach dem Event ist vor dem Event
Schon am 13.12.23 findet die nächste Veranstaltung im Rahmen der Eventreihe statt. Diesmal werden Sebastian Sladek vom Elektrizitätswerk Schönau und Lars Baumgürtel von Zinq mit den Anwesenden über die Energieversorgung der Zukunft sprechen. Melde dich an und komm in der KlimaWerkstatt Spandau vorbei!