Folge #1: Wertstoffsammlung – Was passiert mit dem gelben Sack?
Jeder Anfang ist hart
Die regionalen Stoffkreisläufe untersuchen war das Ziel der gleichnamigen Arbeitsgruppe der Regionalgruppe Stuttgart. Wir wollten herausfinden, wo all die Dinge, die wir tagtäglich verbrauchen und wegwerfen hinwandern. Als sehr aktuelles Thema faszinierte uns das Thema gelber Sack, mit seinen Verpackungen, Kunststoffen und Wertstoffen am meisten und wir stürzten uns in die Arbeit. Sehr schnell mussten wir leider feststellen, dass dies gar nicht einfach ist. Bei Anfragen an das Entsorgungsunternehmen Schaal und Müller, das den gelben Sack in Stuttgart einsammelt, wurden uns die Auskünfte verweigert und man verwies uns auf den Systembetreiber für Verpackungsmüll in Stuttgart, den Grünen Punkt. Doch auch unsere Anfragen an den Grünen Punkt blieben unbeantwortet. Doch so schnell wollten wir nicht aufgeben. Wir fingen an staatliche Stellen als Informationsquellen zu nutzen. Tatsächlich erwiesen sich alle staatlichen Stellen auf jeder Ebene als sehr kooperativ und auskunftswillig und wir konnten eine Menge Daten zusammentragen.
Wertstoffsammlung in Zahlen
Was sind eigentlich Wertstoffe? Laut dem Statistischem Landesamt Baden-Württemberg produziert jede*r Stuttgarter Einwohner*in pro Jahr ca. 500kg Primärabfall. Der Bauschutt, der mehr als die Hälfte des gesamten Abfallaufkommens ausmacht, wurde hier herausgerechnet. Bemerkenswert ist, dass nur 1/5 davon Wertstoffe sind, also Stoffe, von denen wir sagen, dass sie für uns von Wert sind. Ich finde das erschreckend wenig. Hinter allen anderen Fraktionen steht das Wort Abfall. Scheinbar wissen wir mit diesen Dingen nicht besonders viel anzufangen.
Unter Wertstoffen aus Haushalten versteht man in der Abfallwirtschaft vor allem Papier, Pappe und Karton, Glas und Kunststoffe. Die mit Abstand größte Fraktion ist PPK (Papier, Pappe und Karton), gefolgt von Glas mit 19%. Die anderen Fraktionen sind verschwindend gering.
Wenn sie jetzt denken, die knapp 0,1% Kunststoff können nicht stimmen, dann denken sie richtig. Diese Grafik zeigt die Wertstoffe nach der Sortierung, in der der gelbe Sack (der ja noch unsortiert ist) nicht eingerechnet ist.
Wertstoffe werden sowohl von Kommunen als auch von der Privatwirtschaft gesammelt. Die von der Privatwirtschaft, also von den dualen Systemen, gesammelten Wertstoffe können in 3 Kategorien eingeteilt werden. PPK, Glas und die Leichtverpackungen (LVP), die in Stuttgart hauptsächlich mit dem gelben Sack gesammelt werden. Der gelbe Sack ist für alle bei den dualen Systemen lizenzierten Verpackungen gedacht. Außerdem dürfen Korken und Folien hier entsorgt werden. 17kg produziert jede*r Stuttgarter*in jährlich laut der Abfallbilanz Baden-Württemberg 2015. Im Bundesdurchschnitt ist die Menge aber doppelt so hoch.
Der Werdegang des gelben Sacks
Wir mussten feststellen, dass der Werdegang des gelben Sacks nicht nachzuvollziehen ist. Man bekommt darüber keinerlei Informationen. Nur rein qualitativ kann man darstellen, was damit passiert. Ein Entsorgungsunternehmen holt den gelben Sack ab und liefert ihn an einen Umschlagplatz. Von dort aus geht es weiter zur Sortierung. Unter Umständen kann das ein und derselbe Ort sein. Die sortierten Wertstoffe werden dann an Recyclingunternehmen oder Ersatzbrennstoffkraftwerke verkauft oder exportiert. Hier herrscht freie Marktwirtschaft. Dort wo am meisten Profit generiert werden kann, dorthin wandern unsere Wertstoffe. Die Systembetreibenden müssen nur die gesetzlichen Gesamtquoten erfüllen. Gleichzeitig dürfen sich bei der Vermarktung nicht absprechen. Wie das gehen soll, ist mir ein Rätsel.
Die dualen Systeme
Was sind eigentlich die dualen Systeme (DS)? Der bekannteste Systembetreiber ist der Grüne Punkt. 1991 gegründet war der Grüne Punkt das einzige Unternehmen in diesem Bereich und war auch noch ein Non Profit Unternehmen. 2003 wurde erstmals ein weiteres Unternehmen für diesen Markt zugelassen und mittlerweile gibt es einen ganzen Wirtschaftszweig mit 10 Systembetreibenden. Deutschland wird dabei in 400 Erfassungsgebiete aufgeteilt und die Gebiete werden im Losverfahren vergeben. Der Systembetreibende, der in einem Gebiet die höchsten Lizenzmengen besitzt, übernimmt dabei die Organisation für die Sammlung der LVP und für Glas. Beim Papier ist es etwas anders, hier arbeiten die DS mit den öffentlich, rechtlichen Entsorgenden (örE) zusammen. In Stuttgart hat derzeit der Grüne Punkt die Gebietsführerschaft für die LVP. Daneben sind noch die Firmen Landbell und Interseroh involviert.
Sehen wir uns das Thema Lizenzierung etwas genauer an. Jeder Herstellende, der in Deutschland Verpackungen in Umlauf bringt, ist dazu verpflichtet, Lizenzgelder an die DS zu entrichten. Mit diesen Geldern werden die Transport- und Entsorgungskosten der Verpackungen finanziert. Die DS melden die lizenzierten Verpackungsmengen an eine Clearingstelle, welche die Marktanteile an die DS entsprechend verteilt. Die Systembetreibenden beschäftigen Entsorgungsunternehmen für den Transport und die Verwertung der Wertstoffe und sind verpflichtet, jedes Jahr im sogenannten Mengenstromnachweis Auskunft über ihre Geschäfte zu geben.
Wichtig ist hierbei zu verstehen, dass nicht jede*r Betreibende die Kosten für die Verwertung seiner Stoffe selbst verwaltet, sondern alle Kosten für den Transport und die Verwertung der Wertstoffe werden entsprechend der Lizenzmenge aufgeteilt, in einem einzigen Kostenpool. Sie können sich vielleicht schon denken, wozu das führt. Systembetreibende werden dazu verführt, ihre Lizenzmengen klein zu rechnen.
Verwertungsquoten
Wird das was ich in den gelben Sack stecke verbrannt oder nicht? Ich denke, als Richtwert kann man sich im Kopf behalten: ca. die Hälfte wird energetisch verwertet. Die stofflichen Recyclingquoten, die das alte Gesetz vorgibt, werden deutlich übertroffen. Über alle Wertstoffe gerechnet, werden ca. 70% recycelt.
Der Zauber mit den Quoten
Das etwas mit den Verwertungsquoten nicht stimmt, beschrieb Dietmar Bothe in seinem sehr ausführlichen Bericht „Mengenstromnachweise der dualen Systeme“ von 2015. Seit Jahren steigt das Aufkommen der Verpackungsmengen bei gleichzeitigem Rückgang der lizenzierten Mengen. Seit 2009 werden mehr Verpackungen verwertet als lizenzierte Mengen vorhanden sein sollten. Die Anteile der stofflich recycelten Verpackungen sind seit ca. 10 Jahren konstant. Ein großes Problem bei der Auswertung der Zahlen ist, dass die einer Verwertung zugeführten Mengen ausgewertet werden und nicht die tatsächlich verwerteten Mengen, was den volkswirtschaftlichen Nutzen dieser Auswertungen infrage stellt. Des Weiteren verschlechtern Fehlbuchungen, Feuchtigkeitsverluste, rechtliche Schlupflöcher und Störstoffe die Ergebnisse der Auswertung. Unser Fazit dazu ist: Die dualen Systeme waren ein erster notwendiger Schritt um Verpackungen wirtschaftlich recyceln zu können, jedoch entwickeln sie sich nicht weiter und man erkennt sogar einen Trend zu Verschlechterung der Situation. Die dualen Systeme sind überholt!
Die Produktverantwortung im Kreislaufwirtschaftsgesetz
Woran liegt es, dass nicht mehr Verpackungen stofflich verwertet werden? Helmut Schmidt benennt in seiner Präsentation „Wie gelingt eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft?“ als Ursache vor allem die Qualitätsprobleme der recycelten Verpackungen. Besteht ein großer Teil unserer Verpackungen doch immer noch aus Mischkunststoffen, die nur „downgecycelt“ werden können. Recycling funktioniert nur, wenn am Ende des Prozesses Sekundärrohstoffe erzeugt werden, die am Markt nachgefragt werden. In entwickelten Abfallwirtschaftssystemen sind qualitative Ziele wichtiger als Mengenziele. Nur ca. 10 bis 15% der in Deutschland anfallenden Kunststoffabfällen fließen als sogenannte Recyclate zurück in den Kreislauf.
Dabei ist doch die Produktverantwortung im Kreislaufwirtschaftsgesetz definiert.
- 23 Produktverantwortung
- Wer Erzeugnisse entwickelt, herstellt, be- oder verarbeitet oder vertreibt, trägt zur Erfüllung der Ziele der Kreislaufwirtschaft die Produktverantwortung. Erzeugnisse sind möglichst so zu gestalten, dass bei ihrer Herstellung und ihrem Gebrauch das Entstehen von Abfällen vermindert wird und sichergestellt ist, dass die nach ihrem Gebrauch entstandenen Abfälle umweltverträglich verwertet oder beseitigt werden.
Sogar ein kurzer Strafenkatalog ist in diesem Gesetz für eine Nichteinhaltung vorgesehen. Trotzdem scheint dieses Gesetz wenig zu fruchten.
Helmut Schmidt sieht hierfür folgende Gründe:
- Wird Produktverantwortung auf Finanzierungsverantwortung begrenzt, bewirkt es das Gegenteil.
- Produktverantwortung muss bei der Produktentwicklung beginnen und nicht bei der Entsorgung.
Und als größte Irrtümer der Kreislaufwirtschaft sieht er:
- freiwillige Selbstverpflichtungen sind ausreichend, um ökologisch sinnvolle Entwicklungen zu generieren.
- Das Verhalten der Bürger und regionale Besonderheiten sind unbedeutend.
- Abfallvermeidung kann durch Appelle erreicht werden.
Das neue Verpackungsgesetz und die zentrale Stelle
Das neue Verpackungsgesetz gilt ab dem 01. Januar 2019, löst die alte Verpackungsverordnung ab und soll sich einiger der oben genannten Missstände annehmen. Der Koalitionsvertrag von 2013 versprach uns ein Wertstoffgesetz, jedoch konnten sich der Bund, die Länder, die Systembetreibenden und Herstellenden nach jahrelangen hitzigen Diskussionen nur auf das Verpackungsgesetz als Kompromiss einigen. Die wichtigsten Eckpunkte daraus sind:
- Keine Pflicht der Wertstofftonne
- Die dualen Systeme bleiben erhalten
- Registrierungspflicht für Erstinverkehrbringende von systembeteiligungspflichtigen Verpackungen (keine Bagatellgrenzen mehr)
- ökologisch gestaffelte Beteiligungsentgelte der Systeme
- mehr kommunale Steuerung der Wertstoffsammlung
- Umverpackungen und Transportverpackungen jetzt eindeutig auch Verkaufsverpackungen
- höhere Recyclingquoten
Umsetzen und steuern soll das Ganze die neu geschaffene zentrale Stelle. Sie soll die Richtlinien für die Entwicklung ökologisch orientierter Verpackungen festlegen sowie die Beteiligungsentgelte entsprechend steuern. Unter der Aufsicht des Umweltbundesamtes wird die zentrale Stelle von den Systemen finanziert und hat bereits ihren Dienst aufgenommen. Die Geschäfte der zentralen Stelle werden vom Vorstand geführt. Daneben gibt es noch den Verwaltungsrat und das Kuratorium. Das Kuratorium trifft Entscheidungen mit der Mehrheit. Über die Bestellung und Entlassung des Vorstands entscheidet es mit einer Mehrheit von zwei Dritteln. Das Witzige daran ist, dass das Kuratorium aus 8 Vertreter*innen aus der Gruppe der Herstellenden und Vertreibenden und aus 5 Vertreter*innen der Länder, Verbände und Bundesministerien besteht. Schwer vorstellbar, dass durch diese Instanz echte ökologische Interessen im Vordergrund stehen, wenn die Entscheidungsgewalt einzig in den Händen der Privatwirtschaft liegt.
Eine weitere sehr entscheidende Neuerung im Verpackungsgesetz ist die kommunale Einflussnahme. In Zukunft kann eine Gemeinde den dualen Systemen vorschreiben wann, wo und wie die Wertstoffe gesammelt werden sollen. Sie kann sogar die Einführung einer Wertstofftonne verlangen. Jede Kommune kann alle diese Dinge fordern, aber keine wird dazu gezwungen, Änderungen umzusetzen. Auch in diesem Gesetz findet man den Trend zur kommunalen Eigenverantwortung wieder. Leider finden sich auch in diesem Gesetz wieder sehr unschöne Formulierung, wie: „Eine öffentlich rechtliche Einrichtung kann…gegenüber den Systemen festlegen, ….“ Wenn diese Änderung „…nach diesem Gesetz nicht technisch unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar ist.“ Man kann sich leicht ausmalen, dass die Systembetreibenden derartige Formulierung ausnutzen werden, um unerwünschte Änderungen in der Wertstoffsammlung hinauszuzögern oder zu verhindern.
Die Podiumsdiskussion im Wizemann.space
Alle diese Themen wollten wir in einem einzigen Abend gebündelt durchdenken und wir haben uns sehr gefreut, Herrn Dr. Henning Wilts als Kreislaufwirtschaftsexperten vom Wuppertalinstitut und Herrn Gerald Balthasar, dem Leiter der Abfallwirtschaftsbetriebe im Rems-Murr-Kreis, für unsere Podiumsdiskussion im Januar 2018 im Wizemann.space in Stuttgart gewinnen zu können.
Bei der Frage nach den Schwächen des derzeitigen Systems sieht Henning Wilts vor allem Gesetzeslücken, wie die Eigenrücknahme, die es Systembeteiligten ermöglicht, ihre Verpackungen direkt zurückzunehmen, um die Lizenzgebühren zu umgehen, was kürzlich durch den Gesetzgeber abgeschafft wurde, als eine der Hauptursachen. Derartige Fehler verfälschen die Zahlen und drängen manche DS bis kurz vor die Pleite. Er sieht auch die Abgrenzung zwischen der Privatwirtschaft, die Verpackungen sammelt und der örE, die Restmüll sammeln als falsches und irreführendes Konstrukt der Abfallwirtschaft. Gerald Balthasar benennt die nicht lizenzierten Abfälle, die z. B. im gelben Sack landen, für die die DS zusätzlich die Entsorgung finanzieren müssen als eine der Hauptursachen. Man bezeichnet dies als „intelligenten Fehlwurf“. D. h. werkstofflich ist es richtig diese Produkte dem gelben Sack zuzuordnen, finanziell ist es aber falsch. Wie intelligent kann ein Gesetz schon sein, wenn ein Fehler, den ein Bürger beim Entsorgen seiner Produkte macht, intelligent ist?
Beim zweiten großen Thema setzten wir uns mit den neuen Gesetzesentwicklungen in der Abfallwirtschaft auseinander. Herr Wilts setzt keine großen Hoffnungen in das neue Verpackungsgesetz, da es die gleichen Konstruktionsfehler hat, wie die alte Verordnung. Es geht nur darum Verpackungen loszuwerden und wer dafür bezahlen muss. Er hält es für falsch die Verantwortung für ökologisches Verpackungsdesign in die Hände der Systembetreiber zu legen. Vielmehr müssten die Hersteller mit einbezogen werden. Es muss ein Ausgleich geschaffen werden zwischen finanziellen Mehraufwendungen bei den Herstellern und den Gewinnen der Recyclingunternehmen. Neue Kommunikationsplattformen müssten geschaffen werden, damit alle Beteiligten der Verpackungsindustrie gemeinsame Strategien entwickeln. Herr Balthasar sieht im neuen Gesetz schwächen durch zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe. Juristen können dadurch Innovation in der Abfallwirtschaft und die Möglichkeiten der kommunalen Einflussnahme für viele Jahre hinauszögern. Außerdem bleibt die Trennung lizenziert und nicht lizenziert erhalten. Der Bürger versteht den Begriff „lizenzierte Verpackung“ nicht, argumentiert Herr Balthasar. Darum ist das Problem der fehlerhaften Quoten weiterhin ungelöst.
Bei der Frage nach den wichtigsten, kurzfristigen Maßnahmen in der Abfallwirtschaft benennt Henning Wilts die Digitalisierung. Auch die Abfallwirtschaft müsste wesentlich moderner werden. Auch in der Entwicklung finanzieller Bilanzierungsmodelle für die Abfallvermeidung sieht er großes Potenzial. Gerald Balthasar wünscht sich mehr Verständnis für die Notwendigkeit der Gebühren. Ein besseres Engagement der Bürger, eine Änderung im Konsumverhalten und bessere kreislauffähige Verpackungen und Produkte sieht er als notwendige Änderung für eine bessere Abfallwirtschaft.
Auch die Europapolitik blieb nicht unerwähnt an diesem Abend. Die Europäische Kommission veröffentlichte im Januar eine Pressemitteilung mit den Inhalten der neuen Plastikstrategie. Herr Wilts begrüßt diese Entwicklung, jedoch sieht er große Schwächen in der Überwachbarkeit dieser Maßnahmen. Insgesamt scheint die Strategie etwas unfertig und schnell durchgepeitscht worden zu sein.
Die Plastikstrategie der EU
Die Europäische Kommission hat mit ihrem Programm „A European Strategy for Plastics in a Circular Economy“ ambitionierte Ziele zur Reduktion des Kunststoffabfalls formuliert. Darin findet man den Begriff der „erweiterten Herstellerverantwortung“ (Extended Producer Responsibility, EPR). Die Studie „Development of Guidance on Extended Producer Responsibility“ hat zum Ziel, die für eine funktionierende EPR notwendigen Voraussetzungen zu identifizieren und „Goldene Regeln“ für die Mitgliedstaaten zu entwerfen, damit Herstellerverantwortung endlich in Europa gelebt wird. Die 8 Regeln lauten:
- Die erweiterte Herstellerverantwortung sollte klar definiert und einheitliche Ziele fixiert werden.
- Die Verantwortung und Funktion jedes Akteurs entlang des Produktlebenszyklus sollte festgelegt werden.
- EPR-Modelle sollten mindestens garantieren, dass die Hersteller die vollen Nettokosten für die separate Sammlung und Verwertung tragen.
- Entgelte, die ein Hersteller für ein System zahlt, sollten die reellen Kosten für das produktspezifische End-of-Life-Management widerspiegeln.
- Ungeachtet der Wettbewerbsform ist ein klarer und stabiler Rahmen erforderlich, um fairen Wettbewerb zu sichern – mit ausreichend Kontrolle und gleichen Regeln für alle sowie mit unterstützenden Vollzugsmaßnahmen (z.B. Sanktionen).
- Effizienz, Leistung und Kosten von EPR-Modellen müssen transparent gemacht werden.
- Schlüsseldefinitionen und Modalitäten zur Berichterstattung sollten europaweit vereinheitlicht werden.
- Mitgliedstaaten und verpflichtete Industrie sollten mitverantwortlich sein für das Monitoring und die Kontrolle von EPR-Modellen, und zudem sicherstellen, dass adäquate Mittel für den Vollzug bereitstehen.
Ich bin sehr gespannt, wie die EU diese Regeln in den nächsten Jahren umsetzen möchte. Des Weiteren wird in der Presseerklärung zur Plastikstrategie die 100%ige Wiederverwendbarkeit oder Recyclingfähigkeit aller Verpackungen bis 2030 gefordert. Außerdem liest man darin geplante Maßnahmen um die Meere und Strände sauberer zu halten, in dem die Entsorgungsgebühren für Schiffe in den Häfen gesenkt werden, um zu verhindern, dass die Frachter ihren Müll verklappen, bevor sie in die Häfen einlaufen.
Alle diese Vorhaben sind zu befürworten, jedoch besteht die große Gefahr, dass hier wiederum nur ein neues „Pay and Forget“-System entsteht. „Pay and Forget“-Systeme führen zu 50% Recycling, wie wir es jetzt schon in Deutschland haben. Echte Herstellerverantwortung muss über finanzielle Anreize hinausgehen. Richtiges Bewusstsein für Kreislaufwirtschaft kann nur entstehen, wenn der gesamte Produktlebens- und Verwertungszyklus dargestellt und verstanden wird. Auch diese Pflicht sollte den Herstellern auferlegt werden. Die Plastikstrategie der EU vernachlässigt außerdem den Bürger. Beim Ausarbeiten von Gesetzestexten werden stets die Belange, der Hersteller, der Entsorger und des Staates berücksichtigt, aber weniger die Bedürfnisse der Einwohner. Gesetze zur Abfallreduktion müssen die Lebenswirklichkeit der Menschen treffen. Recyclingsysteme müssen einfach und transparent sein, um die Millionen Tonnen an Wertstoffen, die wir jedes verschwenden, zu nutzen. Verpackungen landen nicht nur in den Meeren und an den Stränden, sondern versickern auch ungenutzt in unseren Städten.
Der Schatz in unseren Städten
Sieht man sich die Abfallbilanzen genauer an, fällt eines sehr stark auf. Die Abfallbilanzen auf dem Land und in Kleinstädten sind wesentlich besser als in Großstädten. Z.B. sammelt ein Bürger der Gemeinde Waldshut jährlich (224kg) doppelt so viel Wertstoffe wie ein Einwohner in Stuttgart (112kg). Menschen aus Calw produzieren nur 1/3 der Menge (66kg) an Haus- und Sperrmüll wie Stuttgarts Bürger (198kg). Die Bilanzen auf Länderebene sehen ähnlich aus. Aus diesen Zahlen kann man schließen, dass mindestens die Hälfte der Wertstoffe in unseren Städten nicht ordnungsgemäß entsorgt werden. Alle Gesetzneuerungen sind unzureichend, wenn dieses Potenzial nicht genutzt wird. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Beispiele, wie man es besser machen kann, findet man jedenfalls nur in kleinen Orten.
Mettlach und Kamikatsu machen es selbst
Kamikatsu ist kleines Dorf in Japan mit ca. 1700 Einwohner. In Kamikatsu bringt jeder Einwohner seine Wertstoffe selbst zu einem kleinen Recyclingcenter, das von den Einwohnern selbst betrieben wird. Die Stoffe werden in 34 Kategorien unterteilt. Dieses Dorf hat jetzt schon eine Recyclingquote von 80% und möchte bis 2020 100% erreichen. Die Aussichten, dass sie dieses Ziel erreichen sind sehr gut. Für diese Menschen ist diese Abfallwirtschaft mittlerweile völlig selbstverständlich geworden und die Kosten für die Entsorgung wurden um 2/3 gegenüber der Verbrennung gesenkt.
Mettlach ist eine Kleinstadt im Saarland, nähe der luxemburgischen Grenze mit ca. 12300 Einwohnern. Die Abfallwirtschaft in Mettlach arbeitet nach dem Luxemburger Modell Superdreckskäscht. Dort gibt es ein Rückkonsumzentrum mit 40 Fraktionen. Die Bürger Mettlachs gehen dort gerne hin. Dort gibt es Beratung, einen Secondhand-Bereich und Tauschbörsen.
Mettlach hat es geschafft, in nur 2 Jahren ihr Aufkommen an Restmüll zu halbieren und die Menge an gesammelten Wertstoffen zu verdoppeln.
Diese Beispiele zeigen, was Bürgerengagement alles bewirken kann, aber sind diese Konzepte auch auf Großstädte anwendbar?
Das Konzept der Nährstoffinsel
Es ist sehr ermüdend sich in Stuttgart ordnungsgemäß um seine Wertstoffe zu kümmern. Eine Fahrt einmal hin und zurück zum Wertstoffhof kann schon mal einen halben Tag in Anspruch nehmen und bei Weitem nicht jeder besitzt ein Auto. Ein Bring-System wie in Mettlach oder Kamikatsu scheint in einer Stadt wie Stuttgart ausgeschlossen. Mit dem gelben Sack ist es da schon leichter. Den muss man nur vor die Tür stellen, doch auch damit scheinen einige Menschen überfordert und erst recht damit, die richtigen Dinge hineinzuschmeißen. Wie kann man Menschen in Großstädten zu einem besseren ökologischen Bewusstsein für die Ressourcen unseres Alltags bewegen?
Dazu träume ich vom Konzept der Nährstoffinsel. Die Nährstoffinsel ist ein schöner Ort, ein Ort der Begegnung für die ganze Gesellschaft. Ich kann dort meinen Sperrmüll abgeben, meine Kleidung tauschen, meine defekte Küchenmaschine reparieren lassen, kann dort Menschen kennenlernen und warum nicht auch einen Cappuccino trinken. Mein Urban-Garden-Feld kann dort sein und stinken muss es hier sicher nicht. Produkte, die eindeutig trennbar und verwertbar sind, könnten kostenlos entsorgt werden. Problemstoffe und nicht trennbare bzw. stofflich nicht verwertbare Produkte wären kostenpflichtig und somit wäre dadurch auch das Cradle to Cradle Prinzip gefördert. Gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar, müssten diese Nährstoffinseln feindispers in der Stadt verteilt sein, so dass man sie auch zu Fuß erreichen könnte.
Selbstverständlich ist das eine Utopie. So etwas kurzfristig umsetzen zu wollen, würde in jedem Falle scheitern. Ein Wandel dieser Art kann sich nur über Generationen hinziehen. Die Nährstoffinseln müssten zuerst in Schulen etabliert werden und Teil des Unterrichts sein. Für diese Kinder würde es später selbstverständlich sein, die Wertstoffe, die sie verbrauchen in echten Kreisläufen zu führen. Im Laufe vieler Jahre könnte dann das Konzept der Nährstoffinsel in die Städte transferiert werden.
Die Abfallwirtschaft darf nicht abseits unserer Gesellschaft stehen. Sie muss mittendrin sein. Wenn die Menschen sehen und verstehen, was mit ihren Wertstoffen passiert, werden sie sich einmischen und sie werden agieren. Das neue Verpackungsgesetz liefert dazu ein paar neue Möglichkeiten. Neue, kreislauffähige Produkte und alternative Verpackungen gibt es schon lange; nur wohin damit, wenn sie verschlissen sind? Deutschland und Europa gehen mit ihren Gesetzesänderungen zur Kreislaufwirtschaft voran, doch ich glaube, das wird für eine nachhaltige Moderne nicht ausreichen. Noch immer werden bei den Gesetzestexten nicht alle Beteiligten berücksichtigt. Kreislaufwirtschaft kann nur funktionieren, wenn sie für alle gemacht ist und wenn alle mitmachen, der Staat, die Hersteller, die Entsorger, die Verwerter, die Kommunen und natürlich auch die Bürger. Nur wenn alle Räder in der Gesellschaft ineinander greifen gelingt echte Kreislaufwirtschaft. Bürgerengagement ist ein unverzichtbarer Teil davon. Ich denke, wir leben immer noch in einer Welt, in der die gelebte Praxis unsere Welt verändert. Praxis erschafft die Werte und nicht Werte die Praxis. Wertstoffsammlung geht uns alle an für eine Zukunft ohne Abfall auf dem Weg zum positiven Fußabdruck.
Gerhard Brebeck, Regionalgruppe Stuttgart