Häuser wie Bäume und Städte wie Wälder – das ist eines der großen Ziele von Cradle to Cradle. Was wie eine fantastische Träumerei klingt, wird längst Realität und war das Thema auf dem vierten Cradle to Cradle Congress im Oktober 2017. Während die derzeitige Baubranche zum großen Teil den Sondermüll der Zukunft produziert, zeigte der österreichische Unternehmer Erwin Thoma, wie moderne Häuser nicht nur frei von Schadstoffen, sondern darüber hinaus auch gesund für die darin lebenden Menschen und die Umwelt sein können. Ganz im Sinne von Cradle to Cradle.
Seine patentierte Idee: massive Holzwände, die, wie der Name “Holz100” bereits vermuten lässt, tatsächlich zu 100% aus unbehandeltem Holz bestehen. Dafür werden mehrere Schichten von Fichten- oder Kiefernholz übereinandergelegt und mit getrockneten Buchenholzdübeln verzapft. Während klassische Blockhäuser oder Holzständerstrukturen mit Klebern, Folien oder Schäumen wärmegedämmt werden müssen, verzichtet Thoma nicht nur vollständig auf Bauchemie wie Holzleime und Dämmschäume, sondern auch auf Stahlverstrebungen, Schrauben und Nägel. Um selbst Holzschutzmittel überflüssig zu machen, verwendet Thoma nach alter Überlieferung ausschließlich Mondholz für bestmögliche Haltbarkeit der Holzbauteile gegen Pilze und Insekten.
Die Massivholzkonstruktion gestattet eine Diffusion durch die feinen Holzporen, was das Entstehen von Kältebrücken verhindert. Gegen Kondensation und Schimmel gibt es für alle Thoma-Häuser deshalb eine 50-jährige Garantie, was in der Baustoffwelt bisher einmalig ist. Die natürlichen und einmaligen Eigenschaften des Holzes sowie die patentierte Bauweise mit eingeschlossenen Luftpolstern ermöglicht einen Dämmwert, der nicht nur doppelt so hoch ist wie der von verleimtem Holz, sondern sogar den Weltrekord der Wärmedämmung aller statisch tragenden Baustoffe hält.
Erstaunlicherweise hat Holz100 sogar eine drei- bis fünfmal höhere Brandsicherheit als Stahlbeton, Ziegeldecken oder Ständerbauten und übertrifft somit jede Brandschutznorm bei weitem (Brandbeständigkeit bei einer Beflammung mit 1000℃ von über 150 Minuten). Das konnte durch jeweilige Zertifikate belegt werden.
Selbst Erdbebentests in Japan konnten der Struktur der Gebäude nichts anhaben. Aktuelle Studien konnten einen überdurchschnittlichen Schallschutz belegen, der doppelt so hoch ist wie es Normwerte verlangen, was den Bau des leisesten Holzhotels der Welt ermöglichte. Ebenso schirmen die Holzwände Hochfrequenzstrahlen ab, beispielsweise von Mobiltelefonmasten, sodass nur noch weniger als 25% der Strahlung in die Räume eindringen können.
Produziert werden die Bauteile serienmäßig mit computergesteuerten Maschinen, die ausschließlich mit der Energie der Sonne betrieben werden, die auf das Fabrikgebäude scheint. Altes Wissen wird hier mit moderner Technik vereint, sodass ein langlebiges Produkt mit fast unglaublichen Eigenschaften entsteht. Holz100 verfügt deshalb als bisher einziger tragender Baustoff weltweit über die Cradle to Cradle-Zertifizierung in Gold.
Thoma liefert die Fertigbauteile, die nach Plänen der Bauherr*innen hergestellt und montiert werden. Je nach Größe ermöglicht das die Errichtung eines Gebäudes in wenigen Wochen. Der Zusammenbau eines durchschnittlichen Einfamilienhauses dauert nur einen Tag. Und natürlich kann die Fassade je nach Geschmack mit Ziegeln verkleidet oder der Innenraum mit weißen Wänden, z. B. aus Lehm, gestaltet werden.
All das zeigt, dass Cradle to Cradle nicht einfach nur gut für Mensch und Umwelt ist, sondern ganz neue technische Möglichkeiten eröffnet und Design-Standards setzt. Für die Verarbeitung des naturbelassenen Massivholzes ist ein Bruchteil der Produktionsenergie nötig, die für chemisch verarbeitete Hölzer (z. B. Leimholz oder imprägniertes Holz), für gebrannten Ziegelstein, Zement oder Stahlbeton aufgewendet werden muss.
Da wir den größten Teil unserer Zeit in Gebäuden verbringen, ist es von erheblicher Bedeutung, wie gesund- oder krankmachend die uns umgebenden Baustoffe sind. Spannend sind in diesem Zusammenhang die Erkenntnisse der Medizinischen Universität Graz: In einer Studie konnte gezeigt werden, dass beim Schlaf in einem Raum aus naturbelassenem Holz pro Nacht die Herzarbeit einer ganzen Stunde erspart (etwa 4000 Herzschläge) werden kann. Gleichzeitig werden sowohl Nervensystem als auch das Immunsystem nachweisbar gestärkt. Und weil Krankenhauskeime auf Holz nachweislich eine geringere Überlebenschance haben als auf jedem anderen Material, wurde vor wenigen Wochen der Auftrag für den Bau einer ersten großen deutschen Klinik vollständig aus Holz erteilt.
Ganz nebenbei wirken sich Holzhäuser auch positiv auf das Klima aus: Nicht nur, weil sie enorm energiesparend während Herstellung und Betrieb sind, sondern vor allem auch, weil sie massive, langfristige und risikofreie Kohlendioxidspeicher darstellen. Ein einziges Holz100-Haus nimmt aus der Atmosphäre in etwa so viel Kohlendioxid auf, wie ein* Autofahrer*in im Laufe des gesamten Lebens durchschnittlich produziert. Eine Abholzung der Wälder muss dabei nicht befürchtet werden: Jährlich wächst in Deutschland etwa fünfmal mehr Holz nach, als theoretisch nötig wäre, um ab sofort ausschließlich Holzgebäude zu errichten.
Auf diesem Wege könnten wir endlich aufhören, minderwertige und kurzlebige Produkte aus dem wertvollen Rohstoff Holz herzustellen, die schon nach wenigen Jahren z. B. als verleimte Spanplatte auf dem Sondermüll landen – was bei vielen Möbeln heute der Fall ist. Mit naturreinen Holzhäusern werden Werte von hoher Qualität geschaffen, die Jahrhunderte überdauern können. Und das zu Baukosten, die sich kaum unterscheiden von denen eines vergleichbaren konventionellen Gebäudes. Mit dem Unterschied, dass Vollholzhäuser langfristig in ihrer Unterhaltung kaum noch Kosten verursachen und darüber hinaus einen wertvollen Rohstoffspeicher darstellen. Denn später muss dieses Holz nicht entsorgt werden, sondern bleibt wertvolles Material für nachfolgende Generationen und kann, z. B. für den Häuserbau, wiederverwendet werden. Oftmals steigt sogar der Preis für qualitativ hochwertiges altes Holz, während die meisten heute verwendeten Baustoffe zu teurem Sondermüll werden. So können hier Materialkreisläufe wieder geschlossen werden.
Weltweit wurden mittlerweile über 1000 Gebäude aus Thoma-Holz errichtet. Nur einige Beispiele: In der Schweiz wurde ein vollständig energieautarkes fünfgeschossiges Bürogebäude gebaut, das ganz ohne Heizung, Kamin und Solaranlage auskommt und selbst im Winter stets angenehm warm ist. Das Projekt wurde durch intelligente Architektur mit naturbelassenem Holz ermöglicht und von einem Team von Wissenschaftler*innen begleitet. Markant sind ebenfalls der “Woodcube” in der Hamburger Hafencity, das österreichische Filmarchiv, das ganzjährig ohne Energie von außen konstant auf 2°C temperiert ist, eine Kirche in Japan, mehrere Hotels (unter anderem das erste siebengeschossige Holzhotel Europas – mit Schwimmbad im sechsten Stock) und, erst vor kurzem fertiggestellt, das elfgeschossige Rathaus von Venlo (Niederlande), dessen Fassade mit 100 verschiedenen Pflanzensorten begrünt ist und so die Luft reinigt. Häuser, die keinen Müll verursachen, sondern wertvoll für ihre Umgebung sind – sie gesünder und lebenswerter machen. Häuser, die sogar ihren eigenen Energiebedarf decken können. Fähigkeiten, die wir eigentlich von Bäumen kennen. Wie wäre es, wenn uns mehr solcher Gebäude umgeben würden, die einen positiven Fußabdruck haben? Wenn es ganze Städte wie Wälder gäbe?
Ich muss zugeben, dass ich fast ins Schwärmen komme, aber gibt es dazu nicht allen Grund? Bis vor kurzem hielt ich “Häuser wie Bäume und Städte wie Wälder” allenfalls für eine romantische Zukunftsvision. Aber das Beispiel der Thoma-Häuser lässt erahnen, welch großartige Möglichkeiten sich eröffnen, wenn wir konsequent intelligente Stoffkreisläufe nach dem Vorbild der Natur nutzen und Lösungen auf eine Art finden, wie sie die Natur findet. Cradle to Cradle hat das Potential, unsere Denkweise über Stoffkreisläufe in Richtung einer positiven und lebenswerten Zukunft zu revolutionieren – diese wird bereits Realität!
Valentin Garbe (Regionalgruppe Freiberg)
Erwin Thoma auf dem Cradle to Cradle Congress 2017:
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Literatur:
- Erwin Thoma: Dich sah ich wachsen, ISBN-10: 3710401127, (2016).
- Peter Wohlleben: Das Geheime Leben der Bäume, ISBN-10: 3453280679 (2015)
Links:
- www.fr.de/wirtschaft/energie/oeko-haeuser-ein-haus-wie-ein-baum-a-304623
- www.zeit.de/2016/21/erwin-thoma-holzhaeuser-esoterik-visionaer/komplettansicht
- www.klimaretter.info/wohnen/hintergrund/22119-ein-haus-wie-ein-baum
- www.deepgreen-development.com/woodcube-hamburg
- www.thoma.at/holz100
Foto:
- (c) Velux Deutschland