Kaum hat das neue Jahr begonnen, geht unsere Eventreihe “Berlin, du bist so cradlebar” weiter! Dieses Mal waren wir in der Nochmall in Reinickendorf zu Gast, um über C2C bei Klamotten, Teppichen und anderen textilen Geweben zu sprechen. Eine Premiere gab es auch: das interaktive World Café-Format zum Thema, in dem die Teilnehmenden ganz konkrete Lösungen entwickelten, um C2C im Textilsektor weiter voranzubringen.
Isabel Gomez, Mitglied der Geschäftsleitung von C2C NGO, führte das Publikum durch den Abend in der Nochmall. Als Einstieg gab sie einen Impuls zur Bedeutung einer echten Kreislaufwirtschaft in der Textilbranche und erklärte, worauf bei Produkten nach Cradle to Cradle geachtet werden muss.
92 Millionen Tonnen. So viele Textilien landen jedes Jahr auf den Mülldeponien unserer Welt. Darüber möchte man beim Shoppen für die neue Jeans oder die neuen Vorhänge gar nicht nachdenken. Hinzu kommen die prekären und teilweise gefährlichen Arbeitsbedingungen, denen Menschen vor allem am Anfang der Produktionskette gerade in der Textilindustrie häufig ausgesetzt sind. Cradle to Cradle kann ein Teil der Lösung dieser Missstände sein.
Wie geht Textil nach C2C?
Gerade bei Kleidung kommt es vor allem beim Waschen automatisch zu Abrieb: Tausende kleine Fasern lösen sich und gelangen so ins Wasser und damit in die Umwelt. Die nach C2C verwendeten Stoffe für Kleidungsstücke müssen also dafür geeignet sein, in der Umwelt zu landen, ohne dort für Schäden zu sorgen. Das ist dann der Fall, wenn Gewebe und Garn biologisch abbaubar sind. Das ist beispielsweise bei unbehandelter Baumwolle der Fall, aber es gibt auch synthetische Materialien, deren Abrieb biologisch abbaubar ist und damit in die Biosphäre gelangen kann. Nach einer Nutzungsphase müssen Textilien sortenrein getrennt und recycelt werden können, damit getragene Klamotten nicht zu Abfall, sondern zu Rohstoffen werden, die für neue Produkte mit gleicher Qualität verwendet werden können. Das müssen wir schon beim Design von Textilien bedenken.
Doch nicht nur das Gewebe selbst muss unter C2C-Aspekten ausgewählt sein. Auch die in der Produktion verwendeten Farben und Prozesschemikalien müssen unschädlich für Mensch und Umwelt sein. Nur so können wir sichergehen, dass sowohl die Menschen, die die Textilien produzieren, als auch die Konsument*innen nicht mit Schadstoffen in Berührung kommen.
Ein riesiger Hebel zum Schutz von Mensch und Wasser
“Der Verbrauch von Textilien über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg ist […] die drittgrößte Quelle für Wasserverschmutzung und Probleme bei der Landnutzung. Ein Riesenproblem, aber natürlich auch ein riesiger Hebel für Verbesserung“, ermutigte Isabel in ihrem Vortrag. Denn eine weitere wichtige Anforderung von Cradle to Cradle ist es, Wasser im Kreislauf zu führen und Böden in der Landwirtschaft nicht nur zu schützen, sondern im Idealfall ihre Qualität zu verbessern. Dafür müssten Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette miteinander kommunizieren und kooperieren. So kann einerseits von Anfang an auf die Gesundheit von Wasser und Boden geachtet und andererseits sichergestellt werden, dass alle an der Produktion beteiligten Menschen unter guten Bedingungen arbeiten. Damit meinen wir bei Cradle to Cradle NGO nicht nur die Zahlung von Mindestlöhnen. Wir orientieren uns hier vielmehr an den Standards der Living Wages, die eine Existenzsicherung der Arbeiter*innen voraussetzen und je nach regionalem Kontext berechnet werden.
Berlin trägt es nochmal
Das klingt erstmal nach einer Menge Arbeit. Doch beim fünften Event unserer Eventreihe konnten wir feststellen, dass vieles davon durchaus umsetzbar ist und teilweise bereits umgesetzt ist. Mit einem politischen Grußwort leitete Emine Demirbüken-Wegner, die Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Reinickendorf, den Abend ein. Sie lobte die bereits existierenden Initiativen: “Es ist unabdingbar, Initiativen auf Herstellerseite und auf Seite der Kundinnen und Kunden zu unterstützen und zu fördern. Daher freut es mich, dass es vielerorts schon Ideen und Ansätze gibt.”
Die Nochmall sei, so Geschäftsführer Frieder Söling, als Warenhaus der Berliner Stadtreinigung (BSR) keine Boutique mit teuren Vintage-Klamotten, sondern soll mit einem möglichst vielfältigen Angebot alle Berliner*innen ansprechen. “Man muss nicht alles neu kaufen, man kann sich Sachen leihen, man kann sie reparieren.” Das möchte die Nochmall ihren Besucher*innen mit auf den Weg geben – mit ihrer Verkaufsfläche, aber auch mit Workshops, Führungen und Events, wie unserem.
Anya Geisthardt, ebenfalls Mitarbeiterin der Nochmall erzählte, dass täglich etwa sechs 500-Liter-Kisten voller Textilien in der Nochmall gespendet würden. Am Wochenende noch mehr. Davon sei etwa ein Drittel gar nicht mehr verwertbar. Doch statt sich zu ärgern, dass diese Produkte nicht mehr weiterverkauft werden können, ist Geisthardt optimistisch: “Als Mensch mit nachhaltigem Hintergedanken kann man sich eigentlich freuen, wenn vieles ankommt, was wirklich abgetragen ist und seinen Zweck erfüllt hat.”
Diese Produkte, die ihren Zweck als T-Shirt, Jeans, Vorhang, Tischdecke, Bettlaken erfüllt haben, landen bei der BSR und werden zu Dämmmaterial und Malervlies downgecycelt, also zu Produkten mit niedrigerer Materialanforderung verarbeitet, oder verbrannt. Das ist nach der C2C-Denkschule noch nicht optimal und liegt natürlich auch daran, dass diese Textilien nie dafür designt wurden, kreislauffähig und materialgesund zu sein. Es gehen also langfristig Rohstoffe verloren. Im besten Fall sollten diese Stoffe und Gewebe zu qualitativ gleichwertigen Textilien recycelt und nach ihrem letztmöglichen Nutzungszyklus durch Kompostierung zu Nährstoff werden. Dafür müssen wir die Produkte allerdings von Anfang an sowohl für den technischen Kreislauf, als auch für die Biosphäre designen.
Innovation bei der Produktion
Spannende Lösungsansätze dafür wurden während der Paneldiskussion vorgestellt. Mit dabei waren Willi Kayser von Modulyss, Jens Köhler von der Nizzu Artists & Relation GmbH und Thomas Flaskamp von Brain of Materials.
Beim Merchandise gebe es das Problem weggeworfener Klamotten oft gar nicht, da die Fans ihre Shirts einfach behalten würden, erzählte Jens Köhler. Mit Nizzu Artists & Relation ist er für die Produktion von zahlreichen Merchandise-Artikeln, von Shirts über Becher bis zu Schlüsselanhängern, verantwortlich. Beim Projekt Labor Tempelhof war Jens für das Merchandise von Die Ärzte verantwortlich. Für das Labor Tempelhof richteten C2C NGO und Loft Concerts gemeinsam Konzerte der Bands Die Ärzte und Die Toten Hosen nach Cradle to Cradle aus. Nizzu Artists & Relations ließ zu diesem Anlass 20.000 C2C-zertifizierte T-Shirts produzieren. Die größte Herausforderung sei hier neben den Nähten der Druck gewesen. Die C2C-Farben waren auf weißen Shirts gut sichtbar gewesen. Nur würden Rock-Fans, so Jens, eher zu einem schwarzen Fan-Shirt greifen. Doch er stellte fest: “Das Tempelhof-Labor hat funktioniert. Wir haben Textilien nach C2C kreiert, wenngleich mit einem hohen Input und Aderlass von vielen Seiten.” So hätten beispielsweise Die Ärzte auf ihren finanziellen Anteil an Merchandise-Verkäufen verzichtet, da die Shirts sonst zu teuer geworden wären. Loft Concerts führe den C2C-Gedanken in diesem Jahr bei drei Ärzte-Konzerten in Berlin fort, und er werde sich bis dahin vor allem darum kümmern, auch schwarze C2C-Shirts in guter Farbqualität herstellen zu lassen, so Köhler.
Neben Klamotten gibt es noch unzählige weitere Anwendungen für Textilien. Modulyss stellt modulare Teppichfliesen her, die nach einer Nutzungsphase einzeln entnommen und dann entweder gereinigt und erneut genutzt oder recycelt werden können. “Verglichen mit Hartböden ist die Teppichfliese, wenn man sie reinigt, ein sehr leicht zu pflegendes Produkt und hat auch einen sehr langen Lebenszyklus”, versicherte Kayser während der Diskussion. Durch eine eigene zentrale Rücknahmestelle und Rückzahlungsvereinbarungen sollen Kund*innen dazu ermutigt werden, die Fliesen zu Modulyss zurück zu bringen.
Ein nicht unwesentlicher Aspekt bei der Wiederaufbereitung von Stoffen aller Art ist die Digitalisierung. “Wie können wir in Verbindung mit Technologien eine Rückführbarkeit der Wertstoffe ermöglichen?” Mit dieser Frage beschäftigt sich Thomas Flaskamp bei Brain of Materials. Er erklärte dem Publikum die Vorteile eines digitalen Materialpasses. In so einem Pass ließen sich wichtige Informationen über verwendete Materialien speichern, die das sortenreine Recycling vereinfachen würden. Zudem gebe es neue Prozesse, die es möglich machen würden, auch Mischgewebe zu recyceln und für den Bezug von Autositzen zu nutzen.
Weitere Ansätze beim World Café
Diese Einblicke in bereits existierende Lösungen nahmen die Teilnehmenden mit ins World Café. Für dieses Format kamen Speaker*innen und Publikum an drei Tischen zu unterschiedlichen Themen zusammen und diskutierten weiter. Dabei wurde beispielsweise über das fehlende Wissen bei Planer*innen und Designer*innen um Cradle to Cradle im Innenausbau gesprochen oder über die Frage, wie Unternehmen und Konsument*innen gemeinsam an zielgerichteten C2C-Textilien arbeiten könnten. Es gebe schon viele erfolgreiche Best Practice Beispiele, stellen die Teilnehmenden an allen Tischen fest. Nun brauche es Räume, Prozesse und Rahmenbedingungen, um diese in die Breite zu tragen.
Wenn du auch mit uns diskutieren möchtest, dann melde dich schon jetzt für unsere kommenden Veranstaltungen der Eventreihe an. Am 20. Februar geht es mit dem Thema “#6 CO2 als wertvolle Ressource” weiter.