Ist die Abscheidung und Speicherung von CO₂ (Carbon Capture and Storage; CCS) ein wichtiges Instrument auf unserem Weg zu einer klimapositiven Welt oder nur technologische Ausreden, um weiter CO2 auszustoßen? Und wie hält man eigentlich Kohlenstoff im Kreislauf? Die sechste Etappe der Eventreihe “Berlin, du bist so cradlebar” beschäftige sich mit genau diesen Fragen.
Im Showroom des Fenster- und Fassadenzulieferers Schüco in Berlin-Charlottenburg diskutierten wir am 20.2.2024 gemeinsam mit Matthias Effinger und Dr. Roman Kordtomeikel von Schüco, Thorsten Hahn vom Baustoffkonzern Holcim, Nora Sophie Griefahn von Cradle to Cradle NGO, Oliver Schrouffeneger, Bezirksstadtrat in Charlottenburg-Wilmersdorf und Mitglied der Grünen, sowie Oliver Grundmann, Bundestagsabgeordneter der CDU. Maike Rademaker führte das Publikum als Moderatorin durch den Abend.
Nach einer kurzen Begrüßung durch Matthias Effinger und Nora Griefahn sowie einem politischen Grußwort von Oliver Schruoffeneger ordnete Griefahn das Thema CCS in den Kontext von Cradle to Cradle ein. Unsere Welt funktioniere in Kreisläufen und der Kohlenstoffkreislauf sei der Ursprung aller Kreisläufe. Wir Menschen hätten vergessen, auch in Kreisläufen zu denken und zu handeln. Nun gehe es darum, den Kohlenstoff, den wir ausstoßen, auch wieder einzufangen, und weiter zu verwenden, sodass ein Kreislauf entstehen kann.
Die Wirtschaft geht mit Innovationen voran
Im Anschluss stellten Thorsten Hahn, CEO bei Holcim Deutschland und Dr. Roman Kordtomeikel, Head of Product Sustainability bei Schüco, Strategien ihrer Unternehmen vor, durch die CO2-Emissionen zum einen gesenkt, zum anderen aber ausgestoßener Kohlenstoff aufgefangen und weiterverwertet werden soll. Schüco setze aktuell vor allem auf Materialreduktion, wodurch viel CO2 eingespart werden könne, so Kordtomeikel. Zudem habe Schüco drei neue Aluminiumsorten entwickelt, die bereits in der Produktion deutlich weniger CO2 verursachten als der Branchenschnitt. Dies erreiche Schüco vor allem durch den Einsatz von Recyclingmaterial.
Holcim geht Hahn zufolge dagegen “große Schritte in Richtung Carbon Capturing”. Bei der Produktion von Zement, dem Tagesgeschäft von Holcim, sei es unumgänglich, CO2 zu verursachen. Daher sei es nicht verwunderlich, dass Holcim mit seinem größten Zementwerk auf der Liste der 30 stärksten Emittenten Deutschlands stehe. “Und das ist keine Liste, auf der man stehen möchte”, so Hahn. Daher solle künftig in den Zementwerken Kohlenstoff gespeichert und dann für die Produktion von Chemikalien verwendet werden, für die aktuell hauptsächlich Erdöl verwendet werde. Dabei sei CCS allerdings der letzte Schritt der Emissionseinsparung vor der Materialreduktion und dem Einsatz von erneuerbaren Energien.
Politische und infrastrukturelle Rahmenbedingungen fehlen noch
In der folgenden Podiumsdiskussion kamen neben den Möglichkeiten von CCS auch aktuelle Herausforderungen zur Sprache, die einer Welt mit menschengemachten Kohlenstoffkreisläufen noch im Weg stehen. Es stellte sich heraus, dass die Politik durchaus Interesse daran hat, CO2 einzusammeln und im Kreislauf einzugliedern. So setzen sich die beiden anwesenden Politiker Schrouffeneger (Grüne) und Grundmann (CDU) in ihrer politischen Arbeit dafür ein, CCS in Deutschland anzuwenden. Schrouffeneger sprach sich jedoch auch dafür aus, dass die Diskussion um CCS nicht missbraucht werden dürfe, um die Vermeidung von CO2 zu vernachlässigen. Auch Nora Griefahn erklärte, dass wir unsere Klimaziele nur erreichen könnten, wenn wir deutlich weniger CO2 emittieren und gleichzeitig die ausgestoßenen Mengen wieder einfangen und in Kreisläufe führen. Nur eine der beiden Lösungen reiche nicht aus, betonte sie.
Bei allem Interesse der Politik für solche Technologien gebe es doch noch viele ungeklärte Fragen, sagte Hahn. Er nannte als Beispiele eine ganz neue Infrastruktur mit geeigneten Pipelines und anderen Transportmitteln, die benötigt werde, um einen Kohlenstoff-Markt überhaupt aufbauen zu können. Zudem komme von politischen Akteur*innen aktuell keine klare Aussage zur Zukunft von CCS in Deutschland. Unternehmen bräuchten jedoch Sicherheit in der Planung, um in neue Technologien für CCS investieren zu können. Dafür müsse die Politik erst einmal auf einen gemeinsamen Nenner kommen.
Auch Nora Griefahn stimmte der Forderung nach politischer Rahmenbedingungen zu, betonte aber auch, dass es noch viel mehr Unternehmen brauche, die den Wandel aktiv mittragen und auch ohne äußere Anreize neue Lösungen entwickeln.
In seinem politischen Kommentar zum Ende der Veranstaltung sprach Grundmann sich dafür aus, in Sachen CCS möglichst bald in die Umsetzung zu kommen. Er habe die Hoffnung, dass für die Carbon Management Strategie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz noch im 1. Quartal 2024 ein Gesetzesentwurf stehe.
Bei der Veranstaltung wurde deutlich: die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre bei gleichzeitiger Emissionsreduktion ist ein wichtiger Hebel auf dem Weg zur Erfüllung der Klimaziele. Wenn wir dabei Kohlenstoff als Ressource sehen, könnte das nicht nur eine Lösung für den Treibhausgaseffekt sein, sondern auch für den Ressourcenmangel.
Nächstes Mal: Daten für die Circular Economy
Wie kann uns die Digitalisierung beim Übergang in eine echte Kreislaufwirtschaft nach Cradle to Cradle helfen? Zum Beispiel durch die Speicherung von Materialdaten, so wie es Schüco bereits für Fensterrahmen praktiziert. Welche Daten uns noch helfen können und wer all diese Daten verwalten wird, das diskutieren wir bei unserem nächsten Event in der Reihe “Berlin, du bist so cradlebar.” im Freiraum in der Box in Berlin-Friedrichshain.
Hier könnt ihr euch für die Veranstaltung anmelden.